Ein Blick in die Audi-Fertigung in Neckarsulm

Audi fertigt den Supersportwagen R8 in Neckarsulm auf fahrerlosen Transportsystemen (Quelle: Audi)

Die Automobilindustrie befindet sich im Strukturwandel. Die Diskussion um die Antriebstechnologie der Zukunft ist in vollem Gang. Einige Hersteller setzen auf Elektromobilität, andere schätzen sie eher als Übergangstechnologie ein. Zugleich scheinen die „Verbrenner“ zumindest im Moment langlebiger als zwischenzeitlich angenommen. Darüber hinaus sind neue Generationen von Dieselmotoren mit hochwirksamer Filtertechnologie deutlich emissionsärmer als ihre Vorgängermodelle. Weitere zukünftige Antriebsalternativen sind synthetische Kraftstoffe, Wasserstoff und Brennstoffzellen.

Wie wirkt sich dieses Szenario auf die hoch automatisierte Automobilproduktion aus? Was bedeutet es für die Anbieter von Robotik und Automatisierungstechnik? Kurz: Wie sieht die Automobilproduktion der Zukunft aus? Die Vielfalt der Antriebstechnologien und die daraus resultierende Ungewissheit machen es den Automobilherstellern schwer, diese Fragen zu beantworten. Eins ist aber sicher: Ohne hoch flexible, digital vernetzte Automatisierungslösungen sind die Herausforderungen der Zukunft nicht zu meistern. Gefragt sind nachhaltige, Industrie-4.0-kompatible Lösungen, die Fahrzeugproduzenten, Tier 1-Zulieferer und Systemzulieferer in aller Welt bei der Umsetzung modernster Fertigungsstrukturen unterstützen.

Verzicht auf stationäre Fördertechnik

Die Automatica als Leitmesse der Automatisierungstechnik will hierfür geeignete Technologien aufzeigen. Vielen dieser Lösungen ist der Verzicht auf die stationäre Fördertechnik gemeinsam. Das bedeutet einen echten Paradigmenwechsel: Mehr als einhundert Jahre dominierte das Fließband die Automobilfertigung. Heute suchen Autobauer und Fabrikplaner nach Alternativen für diese zwar hoch effiziente, aber auch unflexible Technik.

Erste Schritte wurden bereits vor Jahren im Karosserierohbau vollzogen. Die dort eingesetzten Roboter schweißen, nieten und kleben nicht nur. Sie halten und transportieren auch die Rohkarossen, während ihre maschinellen „Kollegen“ sie bearbeiten. Einer der positiven Nebeneffekte: Bei Modellwechseln muss man nicht die kompletten Produktionslinien verschrotten, sondern nur die Roboter neu programmieren.

Porsche lebt neue Ära der Automobilproduktion vor

Dieses Prinzip lässt sich nun auch auf die Endmontage übertragen. Das zeigt Porsche mit der neuen Taycan-Fertigung in Zuffenhausen. Hier wurde, so Albrecht Reimold, Produktionsvorstand des Unternehmens, das Fließband praktisch abgeschafft. Die Fahrzeuge bewegen sich stattdessen auf Fahrerlosen Transportsystemen (FTS) durch die Fertigung und werden so Schritt für Schritt komplettiert. Das steigert die Flexibilität. Das Tempo der FTS ist ebenso variabel wie ihre Verweildauer an den Montagestationen, theoretisch müssen die Fahrzeuge auch nicht alle denselben Weg durch die Fertigung nehmen. Zudem lassen sich mehrere Modelle oder Derivate problemlos auf ein und derselben Linie fertigen.

Markus Uellendahl, Senior Partner der Managementberatung Porsche Consulting, sagt: „Wir werden auch in anderen Industriebereichen eine Abkehr von den klassischen automatisierten Fertigungslinien sehen. In der Smart Factory der nahen Zukunft ermöglichen flexible Transportsysteme wie zum Beispiel FTS eine einfachere Anpassung der Produktions- und Logistikprozesse. In der konsequentesten Umsetzungsform steuern die Produkte, die gefertigt werden, auf autonomen Transportsystemen selbsttätig die Montagestationen an, die gerade frei sind. Algorithmen und Künstliche Intelligenz unterstützen die Planung und machen die Entscheidungsfindung effizienter.“

Durch die gesteigerte Wandlungsfähigkeit der Smart Factory, so M. Uellendahl weiter, sinken Folgeinvestitionen. Unternehmen, die dieses Ziel strategisch verfolgen, können die Veränderungen von Produkten und Prozessen aktiv nutzen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen – und sie können sich schneller an veränderte Marktanforderungen und Rahmenbedingungen anpassen.

Auf der Automatica stellen zahlreiche Anbieter vor, wie sich die smarte, digital vernetzte Produktion realisieren lässt. Neben Robotern spielen dabei auch – um Beispiele zu nennen – industrielle Bildverarbeitungssysteme, Greifer und Positioniereinheiten, Sensoren sowie elektronische Steuerrungen eine zentrale Rolle. Die Messe bietet die einzigartige Gelegenheit, all diese Produktgruppen gezielt unter die Lupe zu nehmen.

Cobots rücken den Werker in den Mittelpunkt

Darüber sollen auf der Automatica eine weitere Entwicklung sichtbar werden: Moderne Automatisierungskonzepte verzichten nicht auf den Werker, sondern rücken ihn in den Mittelpunkt. Exoskelette und Cobots werden die Beschäftigten körperlich entlasten. Der größte Entwicklungssprung ist im Bereich der Cobots zu erwarten. Die etablierten Roboterhersteller haben bereits auf der automatica 2018 wegweisende Lösungen vorgestellt, 2020 legen sie kräftig nach. So wird der japanische Roboterhersteller Fanuc in München einen komplett neu entwickelten Cobot präsentieren. Auch von Universal Robots, Kuka, Yaskawa, ABB, Stäubli und vielen weiteren Ausstellern sind zukunftsweisende MRK-Lösungen zu erwarten. Besonders gespannt können die Besucherin diesem Feld darüber hinaus auch auf die diversen Neuaussteller wie Han’s Robot, Hanwha Precision Machinery, Techman Robot, Wandelbots oder Yuanda Robotics sein.

Mittlerweile sind die kollaborativen Roboter in der Praxis angekommen wie beispielsweise bei Opel in Eisenach: Hier schraubt ein Cobot des dänischen Herstellers Universal Robots Klimakompressoren an Motorblöcke an. Unmittelbar neben den Mitarbeitern, ohne trennenden Schutzzaun, zieht der Roboter alle zwei Minuten drei Schrauben auf 22 Nm an und seine menschlichen Kollegen übernehmen weiterhin die weniger belastenden vor- und nachgelagerten Arbeiten.

Ein weiteres Beispiel: Kuka hat gemeinsam mit BMW in Dingolfing eine Arbeitserleichterung für Mitarbeiter geschaffen, die bis zu 5,5 kg schwere Kegelräder anheben und millimetergenau in die Vorderachsgetriebe einpassen. Früher erledigten sie das von Hand, heute assistiert ihnen der sensitive Roboterkollege LBR iiwa. Er ist hängend an einer schlanken Stahlbaukonstruktion befestigt und kommt ohne externe Sensoren aus, weil in seinen sieben Achsen eine Gelenk-Momenten-Sensorik aktiv ist.

Christoph Hock, Leiter Human Robot Collaboration bei Kuka Systems: „Wir werden in der Automobilindustrie künftig deutlich mehr solcher Anwendungen sehen. In Zeiten steigender Variantenvielfalt ist es ein klarer Wettbewerbsvorteil, die Produktion optimal an die jeweils benötigte Auslastung anzupassen – beispielsweise mithilfe flexibler MRK-Einheiten.“ Die automatica gibt im Juni einen fundierten Überblick, wie sich die neue Flexibilität praxisgerecht umsetzen lässt – nicht nur in der Automobilproduktion.

 

Bernhard Krause, Messe München

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