Porträt Wolfgang Weber, ZVEI

Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung: „Klimaschutz hat höchste Priorität und ist nur mit Elektrifizierung und Digitalisierung erfolgreich umsetzbar“ (Quelle: ZVEI)

Herr Weber, welches sind aus ZVEI-Sicht die größten Herausforderungen, die sich durch die Themen Digitalisierung und Klimaschutz ergeben?

W. Weber: Eine der größten Herausforderungen ist der gesellschaftliche Konsens für Klimaschutz. Hier ist vor allem die Politik gefragt, welche ein konsistentes Maßnahmenpaket vorlegt, mit dem sowohl die Gesellschaft als auch die Industrie verlässlich planen können. Wichtig ist, nicht überstürzt zu handeln, sondern konsistente, langfristige Planung mit den entsprechenden Maßnahmen.

Das bislang geltende politische Klimaschutzziel, die CO2-Emissionen bis 2050 um mindestens 80 % gegenüber 1990 zu reduzieren, ist technologisch und volkswirtschaftlich mit vertretbaren Kosten erreichbar. Das zeigte die BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland", an der wir uns beteiligt haben. Die oftmals bereits vorhandenen Technologien müssen aber schneller zum Einsatz kommen. Gleichzeitig brauchen wir einen EU-weit koordinierten politischen Regulierungsrahmen, der bei uns endlich Anreize für Investitionen in Entwicklung, Bau und Betrieb zusätzlicher emissionsmindernder Technologien setzt. Unternehmen benötigen Verlässlichkeit auf der politischen Ebene. Nur wenn auch die Gesetze bereit sind, um den Markt zu bereiten, kann der Klimaschutz auf den unterschiedlichen Ebenen funktionieren.

Eine große Herausforderung ist zudem das Energiesystem: Die Netze sind am Limit und nicht für die künftig stark dezentral ausgerichtete Erzeugung und -verteilung von Strom auf Basis erneuerbarer Energien ausgelegt. Das Energiesystem muss endlich digitalisiert werden. Ohne die überfälligen Investitionen in intelligente Verteilnetze wird die Energiewende nicht gelingen.

Die Bundesregierung ebenso wie der ZVEI geben an, mit Innovationen aus Elektrifizierung und Digitalisierung auch den Klimaschutz voranzutreiben. Bitte erläutern Sie an einem Beispiel aus der Elektroindustrie, wie jedes einzelne Unternehmen zum Klimaschutz beitragen kann.

W. Weber: Der Haupttreiber für Klimaschutz wird in der Elek­trifizierung der gesamten Gesellschaft liegen – von der Elek­trifizierung der Stahl- und Chemieindustrie über den Verkehrssektor bis hin zur Wärmeversorgung von Büros und Wohnungen. Da die Elektrifizierung aber nur Sinn ergibt, wenn wir den Strom aus – noch auf lange Sicht knappen – erneuerbaren Energien liefern, müssen wir auch alle Effizienzpoten­ziale ausschöpfen. Beispiele in der Industrie sind moderne Automatisierungstechnik sowie das Forschungsprojekt DC-Industrie. Der Nachweis konnte erbracht werden, dass sich die Stromversorgung industrieller Anlagen über ein smartes, offenes Gleichstromnetz neugestalten lässt. Durch eine Gleichstromversorgung lässt sich mehr Energieeffizienz und Energieflexibilität in die industrielle Produktion bringen und die industrielle Energieversorgung digitalisieren. Im Durchschnitt kann durch DC-Industrie bis zu 10 % Energie eingespart werden. Auch im Bereich Verkehr und Gebäude sehen wir für Unternehmen große Einsparpotenziale.

Digitalisierung selbst hat ebenfalls einen enormen Energieressourcenbedarf, beispielsweise für die Speicherung und das Rechnen von Daten. Wie passen in diesem Zusammenhang Digitalisierung und Klimaschutz zusammen?

W. Weber: Die Digitalisierung bringt einen großen gesellschaftlichen Mehrwert. Einen Weg zurück in die vordigitalisierte Welt können und wollen wir nicht gehen. Die Herausforderung ist, mit dem Fortschritt einen Weg in eine klimaneutrale Zukunft zu finden.

Durch das Speichern von Daten, Streaming oder den Betrieb von Rechenzentren fallen in der Tat heute noch große Mengen CO2 an. Viele Rechenzentren werden allerdings aktuell auf Ökostrom umgestellt oder laufen bereits mit diesem.

Darüber hinaus gibt es auch viele positive Aspekte der Digitalisierung in Bezug auf den CO2-Ausstoß zu vermelden: Vor allem wird langfristig die Digitalisierung zu einer gewissen Dematerialisierung führen – denken Sie an das zunehmend papierarme Büro, Online-Kurse, Online-Meetings etc. – und damit zu einer Minderung von Ressourcenverbrauch, die den Ressourcen­bedarf der Rechenzen­tren überwiegen wird. Da wir zeitgleich noch immer eine Zunahme der Weltbevölkerung haben, ist dieser Effekt unter dem Strich noch nicht genügend erkennbar.

Wenn Systeme in der Industrie 4.0 intelligent miteinander verknüpft werden, lassen sich bis zu 50 % Energie einsparen. Auch das vorherige Beispiel der Digitalisierung industrieller Energieversorgung im Forschungsprojekt DC-Industrie zeigt das enorme Einsparpotenzial. Die Liste lässt sich um viele Beispiele erweitern: Etwa „Precision Farming" oder die intelligente Steuerung von Verkehr. Insofern lässt sich der vermeintliche Widerspruch zwischen Digitalisierung und Klimaschutz auflösen.

Im letzten Jahr haben Sie die Informationskampagne #InnovationSchütztKlima gestartet. Dabei waren Teilnehmer aufgefordert, Ideen für den Klimaschutz einzubringen. Wie kreativ und vor allem erfolgversprechend sind die eingereichten Vorschläge?

W. Weber: Klimaschutz hat höchste Priorität und ist, wie erläutert, nur mit Elektrifizierung und Digitalisierung erfolgreich umsetzbar. Damit ist Klimaschutz gerade für die Elektroindustrie in allen Dimensionen von größter Bedeutung. Mit der Kampagne wollen wir zum einen zeigen, mit welchen Lösungen unsere Branche zum Klimaschutz beiträgt. Zum anderen wollen wir diskutieren – mit jungen Menschen, Politikern, Unternehmensvertretern, Wissenschaftlern und allen, denen der Klimaschutz wichtig ist. Das tun wir in verschiedenen Formaten – über unsere Social-Media-Kanäle, mit unserem Magazin Ampere, genauso wie im Rahmen parlamentarischer Abende oder beim ZVEI-Jahreskongress im Mai, zu dem wir auch die Bundeskanzlerin erwarten. Das Thema wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen und wir wollen die Kampagne nutzen, um den politischen und gesellschaftlichen Dialog voranzubringen.

Apropos Jahreskongress 2020: Er steht ebenfalls unter dem Motto #InnovationSchütztKlima. Welche wesentlichen Erkenntnisse rund um Innovation, Digitalisierung und Klimaschutz erwarten die Teilnehmer in Berlin?

W. Weber: Unsere Branche elektrisiert und digitalisiert Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft wie keine andere. Dabei trägt sie wesentlich auch zu mehr Energieeffizienz bei und hilft, den CO2-Ausstoß zu senken. Bei unserem Jahreskongress wollen wir aber nicht nur die Innovationskraft und die Lösungen der Elek­troindustrie aufzeigen. Wir möchten auch den Diskurs über Generationen, politische Lager und Technologien hinweg anstoßen. Denn wir sind davon überzeugt, dass unternehmerische Verantwortung, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit Hand in Hand gehen können. Welche Erkenntnisse die Teilnehmer aus den verschiedenen Beiträgen ziehen, müssen sie letztlich selbst entscheiden. Wir sind davon überzeugt, dass wir spannende Perspektiven aufzeigen können; und wir hoffen, dass die Teilnehmer neue Erkenntnisse und Anstöße für weitere Projekte mit nach Hause nehmen.

Inge Hübner

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