Abbild Kai Anderson

Bild: Kai Anderson ist Vorstand und Gründer der Promerit AG und Mitautor des Buchs „Digital human – Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung“ (Quelle: Promerit AG)

Was wir konsumieren, wie wir konsumieren, wie wir arbeiten, was wir arbeiten, was und wie wir kommunizieren und interagieren, verändert sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Dieses Tempo birgt die Gefahr, die Entwicklung nicht mehr zu hinterfragen, nicht mehr zu versuchen, sie zu gestalten oder das Machbare dem Sinnvollen vorzuziehen. Wir werden uns diesen Entwicklungen nicht verschließen können und auch nicht die Geschwindigkeit drosseln können, mit der die Digitalisierung unseren Alltag verändert. Aber wir werden die Veränderungen in ihren Konsequenzen besser durchdenken und Technologie sinnvoll und für den Menschen langfristig nutzbringend einsetzen müssen. Wir werden an Geschwindigkeit zulegen müssen, um mit dem Tempo der Veränderungen mitzuhalten – unternehmerisch, gesellschaftlich, persönlich. In einer Art und Weise, die uns die Möglichkeiten der Digitalisierung erschließt und uns hilft, die Probleme unserer Zeit zu lösen und nicht zu vergrößern.

Fortschritt muss dem Menschen dienen

Bevor wir in die Zukunft aufbrechen, lohnt ein Blick zurück auf die Grundprinzipien dessen, was wir technischen Fortschritt nennen. Technischer Fortschritt ist substanzieller Teil der menschlichen Evolution. Vom Rad zum Pflug zum Traktor vergingen immerhin einige Tausend Jahre – immer noch ein Wimpernschlag mit Blick auf die gesamte Evolution. Digitalisierung ist technischer Fortschritt im Zeitraffer, da die Technologien, um die es hier geht, sich selbst verbessern und beschleunigen.

Deep Learning ist das Zauberwort, mit dem wir im Unterschied zu früher die Systeme nicht nur schneller, sondern auch intelligenter machen. Im Unterschied zu den linearen Programmierverfahren der Vergangenheit setzte man hier auf neuronale Netze, die der Funktion des menschlichen Gehirns nachempfunden sind. Deep-Learning-Verfahren schaffen eigenständige Verbindungen, erkennen Muster durch Beobachtung und sind in der Lage, sich selbst weiterzuentwickeln. Das ist nicht weniger als die Blaupause der menschlichen Evolution.

Technischer Fortschritt, oder Technologie, war letztlich immer dazu da, dem Menschen zu dienen, die Lebensqualität zu steigern. Fortschritt schafft Produktivität, schafft Wohlstand, schafft Arbeit – das hat bisher noch immer funktioniert, auch wenn man die Entwicklungen mit zeitlichem Abstand bewerten muss. So stand die Erfindung des mechanischen Webstuhls von Joseph-Marie Jacquard 1805 von Anfang an unter dem Verdacht, ­Arbeitsplätze zu vernichten. Nicht zu Unrecht, wie der Aufstand der schlesischen Weber 1844 zeigte, als plötzlich 3 000 Weber ihre Arbeit verloren und auf die Straßen gingen. Was als Beginn des Industriezeitalters gilt, war der Startschuss für ein Zeitalter, in dem die Lebensqualität und der Wohlstand für einen Großteil der Menschheit massiv gesteigert wurden. Beim Blick auf die Statistiken bleibt nicht verborgen, dass die Arbeit in Summe weniger geworden ist – relativ mit Blick auf die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers in den Industriestaaten. Der technische Fortschritt hat uns befreit von schwerer, zum Teil gesundheitsschädlicher Arbeit, was zu einer Steigerung der Lebensqualität und neben den Fortschritten in der Medizin zu einer Steigerung ­unseres durchschnittlichen Lebensalters beigetragen hat. Der Schwerpunkt unserer Tätigkeiten hat sich verlagert. Räumlich von den Feldern in die Städte, von den kleinen Werkstätten in die Fabriken und Bürokomplexe, in denen sich unsere Industriegesellschaft manifestiert hat. Auch der Inhalt unserer Arbeit hat sich verändert. Ganze Berufe sind verschwunden, neue Berufsbilder sind entstanden. Die Assistenz von heute hat mit der Schreibkraft der 1960er-Jahre nicht mehr viel gemeinsam. Wir haben es verstanden, die zunehmende Produktivität zu nutzen, unseren Wohlstand in Summe zu vermehren, einigermaßen gerecht zu verteilen und Arbeit für einen Großteil der Bevölkerung zu gewährleisten.

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