
Ein Blick in die Gläserne Manufaktur Dresden: 57 AGV unterstützen hier die Produktion des ID.3. (Quelle: Volkswagen Sachsen)
Seit 2001 wurden in der Gläsernen Manufaktur Dresden mehr als 150 000 Fahrzeuge produziert. Mittlerweile ist sie komplett auf die Herstellung von Elektrofahrzeugen ausgerichtet („Home of ID“). Täglich laufen hier 37 ID.3 vom Band.
Das Volkswagen-Werk war eines der Ersten, das Automated Guided Vehicles (AGV) einsetzte – lange bevor die AGV-Linienversorgung in der Intralogistik zum Standard wurde. Hier tragen die grauen Transporter wie unermüdliche, zielstrebige Ameisen Bauteile aller Art zum nächsten Ziel und fahren automatisch ihre Routen zwischen Montagelinie, Lager sowie Ladestation. Diese Automatisierung ist ein Markenzeichen der Gläsernen Manufaktur in Dresden.
Allerdings kostet der Dauerbetrieb der 57 eingesetzten AGV auch einiges an elektrischer Energie. Im Pilotprojekt sollten deshalb Möglichkeiten ausgelotet werden, deren Energieverbrauch zu optimieren. Wie aber kann das mit einer Flotte von Brownfield-AGV erreicht werden, die weder über die technischen Voraussetzungen zur kontinuierlichen Datenbereitstellung noch über Analysewerkzeuge zur Optimierung verfügen? Die Antwort auf diese Frage lieferte der digitale Zwilling, der die unterschiedlichen technologischen Bausteine über ein standardisiertes Datenmodell miteinander verbindet. Entscheidend für den Umsetzungserfolg in einer industriellen Realität war zudem ein hoher Standardisierungsgrad. Und genau das leistet der Datenstandard der Industrial Digital Twin Association: die Asset Administration Shell (AAS).
Die „Zero Impact“-Fabrik im Fokus
Die Gläserne Manufaktur mit ihrer transparenten Fertigung steht für Innovation und Fortschritt. Als zentrale Frage stellte sich das Team um Dr. Dirk Thieme, Head of New Mobiliy and Innovations: Wie können gewachsene Fertigungsstrukturen von den Potenzialen der Digitalisierung durch ein kostengünstiges Retrofit profitieren? Das Ziel: ein intelligentes, flexibles, skalierbares und herstellerunabhängiges Lademanagement.
Bisherige statische Lade- und Betriebskonzepte schöpfen das Potenzial vorhandener Daten nur bedingt aus. Der innovative Ansatz des Teams war ein KI-basierter Regelkreis, der verschiedene Faktoren, wie Batteriezustand, Anzahl der benötigten Ladepunkte und auch die Flottengröße, nutzt. Das machte das Pilotprojekt zu einem wichtigen Meilenstein zur „Zero Impact“- Fabrik, die klima-, ressourcen- und umweltschonend produziert.
IoT-Devices zur Datenübertragung
Gestartet wurde das Projekt auf der Hardwareseite: Dafür installierte das irische Start-up Mavarick seine IoT-Devices in den AGV, um alle relevanten Energie- und Bewegungsdaten zu erfassen. Die kleinformatigen Edge-Geräte mussten einige Anforderungen erfüllen: Für das Volkswagen-Team war es beispielsweise wichtig, dass das Retrofit ohne Auswirkungen auf den Betrieb der AGV-Flotte bleibt. Nach der Installation waren die IoT-Devices bereit, über Sensoren alle Bewegungen und Ladezustände aufzuzeichnen und zu übertragen.
Anschließend widmete sich das Team der effizienten und skalierbaren OT/IT-Integration für die Datenerhebung und -auswertung. Ein Kernaspekt war dabei, dass die Daten nicht nur maschinenlesebar, sondern auch maschinenverstehbar sein sollten. Hier spielt der standardisierte digitale Zwilling basierend auf der AAS seine Vorteile aus: Die Shell sorgt für eine nahtlose Integration und Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen und Prozessen; konkret ermöglicht sie Interoperabilität, Flexibilität und Skalierbarkeit.
Den AAS-Aufbau unterstützten die Modellierungsexperten der Management- und IT-Beratung MHP. Zunächst definierten sie die Semantik der Verwaltungsschale über Submodelle. Die Submodelle stellen spezifische Verhaltenseigenschaften wie den Energieverbrauch dar und auch die physische Struktur der verwendeten Batterien. Änderungen lassen sich dabei einfach abbilden: Wird eine Batterie getauscht, lässt sich das entsprechende Submodell ebenfalls wechseln, während etwa das Submodell des Energieverhaltens weiterhin Daten gleichen Inhalts und Formats liefert. Die Verwaltungsschale im Proof of Concept enthält mehr als 18 Submodelle mit jeweils bis zu 100 Einzelparametern. Damit bildet sie die Struktur sowie Daten der darunterliegenden AGV ab – und zwar in einem Standard, der eine schnelle Datenanalyse und Erweiterung zulässt. Beispielsweise sind verschiedene weitere Fahrzeugtypen über das AAS-Modell darstellbar. „Die Art und Weise, wie wir Daten im Modell erfassen, ist agnostisch– das heißt, der Prozess ändert sich nicht, unabhängig vom AGV-Typ, -Modell und -Hersteller. Das macht uns extrem flexibel“, sagt Dr. Stefan Gerber, Associated Partner und Projektverantwortlicher bei MHP.
Dieser Skalierungs- und Geschwindigkeitsvorteil wird auch bei VW zur Geltung kommen: Obwohl zunächst nur die Daten von zwei AGV gesammelt und ausgewertet wurden, steht eine Übertragung der Ergebnisse des PoC auf eine Flotte mit 25 Fahrzeugen unmittelbar bevor. Innerhalb von sechs Monaten wurde nicht nur die Analytics-Umgebung von Maverick an die VW-Umgebung angebunden, sondern auch eine skalierbare und herstellerunabhängige technische Lösung implementiert.