Zwei Perspektiven: Kombination aus Prozessdaten und individuellem Verhalten

Abbild Predictive Analytics

Bild 3: Predictive Analytics (Quelle: IBM)

Das IBM-Team musste daher die Abläufe aus zwei Perspektiven betrachten: Zum einen galt es, die physikalischen Prozesse im Inneren der Mühle genauer zu analysieren. Zum anderen mussten die Reaktionen des Operators, der für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Produktion zuständig war, ausgewertet werden. Genau diese Kombination der Zusammenführung und Bewertung von Prozessdaten und dem individuellen Verhalten („Behaviour“) ist neu und nur mit den Fähigkeiten kognitiver Systeme möglich (Bild 3). Um also ein Modell zu den prozessualen Abläufen und den Reaktionen des Operators zu entwickeln – eine notwendige Voraussetzung für die digitale Beratung – wurde das System mit Tausenden von Datensätzen aus den vergangenen Jahren und von unterschiedlichen Mühlen gespeist. Dazu gehörten Prozess- und Produktionsdaten ebenso wie die schriftlichen Aufzeichnungen des Operators. Dieses Verfahren klassischer Mustererkennung brachte neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel zwischen dem eigentlichen Produktionsvorgang und der manuellen Steuerung. Um hier zu validen Ergebnissen zu gelangen, mussten unter anderem auch unstrukturierte Daten (Wartungsberichte und andere persönliche Aufzeichnungen) mithilfe kognitiver Methoden erfasst und in die Analysen miteinbezogen werden. Das ging schneller als gedacht: Wollte man zunächst Daten und Aufzeichnungen aus den vergangenen zehn Jahren auswerten, war schnell klar, dass es ausreichend ist, nur die vergangenen 18 Monate genauer zu betrachten. So konnte bereits auf deren Basis ein schlüssiges Muster für die Entwicklung von Handlungsempfehlungen identifiziert werden. Bei diesem Projekt hat IBM erstmals komplexe statistische Analysen mit kognitiven Methoden kombiniert, um auf Basis der gleichzeitigen Auswertung physikalischer und operativer Vorgänge neue Abläufe und Handlungsempfehlungen zu entwickeln, um damit den Gesamtprozess zu ­optimieren.

Die strategische Bedeutung von Watson für IBM

Nach der Markteinführung von „E-Business“ Ende der 1990er-Jahre und „Smarter Planet“ Ende der 2010er-Jahre geht IBM nun mit seiner strategischen Initiative „Cognitive Business“ den nächsten Schritt in der Digitalisierung von Unternehmen.

Für dieses neue Unterfangen hat IBM eine Beratungsorganisation gegründet, deren Ziel es ist, Kunden beim Umbau ihres Unternehmens in ein kognitives Business zu unterstützen. In der neuen Practice werden rund 2 000 Analytics-Experten, Data Scientists sowie Industrie- und Change-Management-Spezialisten tätig sein. Das Marktpotenzial ist laut IDC enorm: Bis 2018 sollen die Hälfte aller Verbraucher regelmäßig mit Services in Berührung kommen, die mit Cognitive-Computing-Lösungen arbeiten. IBM sieht sich dafür gut gerüstet: Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren bereits in über 50 000 Analytics-Projekten Erfahrungen gesammelt und kann auf die Expertise eines großen Data-Science-Teams sowie Tausender Wissenschaftler in ihren Forschungseinrichtungen rund um den Globus zurückgreifen. Hinzu kommen eigenständige Units, die sich auf die Entwicklung von Lösungen rund um die Watson-Technologie und Analytics spezialisiert haben sowie über 30 000 Professionals in der industriespezifischen Beratung.

Enge Zusammenarbeit

Diese First-of-a-kind-Modellierung von Mühlenprozessen mit realen Daten verlangte eine enge Zusammenarbeit zwischen IBM und Lafarge Holcim. Vom ersten Tag an haben die Operators und Mühlenexperten von Lafarge Holcim gemeinsam mit dem IBM-Team vor Ort sowie ihren Kollegen aus dem IBM ­Research Lab in New York das Vorgehen ­besprochen, das ­Modell entwickelt sowie die notwendigen Analyse-Werkzeuge implementiert.
Dieses sich nun im Probebetrieb befindliche kognitive System analysiert ständig alle relevanten Daten. Die Ergebnisse werden dann in Form von Handlungsempfehlungen, also etwa für eine Anpassung der Temperatur in der Mühle, über ein Advisor-Tool den Operatoren zur Verfügung ­gestellt. Das geschieht in der Regel einmal pro Tag.
Um den Operatoren den Umgang mit dem neuen Werkzeug zu erleichtern, wurde auch viel Wert auf die Nutzerfreundlichkeit gelegt: IBM hat dafür ein verständliches, ­intuitiv zu bedienendes Interface entwickelt, bei dem auf einen Blick auch zu erkennen ist, was getan werden sollte, beziehungsweise ob und wie die Empfehlungen des kognitiven Systems zum optimalen Betrieb umgesetzt wurden. Bei einer mehrprozentigen Reduktion der Energiekosten rechnet Lafarge Holcim mit signi­fikanten jährlichen Einsparungen. Gleichzeitig wird damit die Ökobilanz des Unternehmens nachhaltig verbessert. Dieses Verfahren lässt sich im Übrigen für die Optimierung ganz unterschiedlicher Parameter nutzen. Etwa, um den Output zu maximieren, wenn die Nachfrage hoch ist und Energiekosten dann eher eine untergeordnete Rolle spielen.

Dr. Stefan G. Hild
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