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Uwe Kemm ist seit dem 1. April 2020 bei der Stemmer Imaging AG als Chief Operating Officer tätig. Arne Dehn ist seit Januar 2019 Vorstands­vorsitzender bei dem international tätigen Anbieter von Bildverarbeitungstechnologie (v. l.) (Quelle: Stemmer Imaging)

Herr Dehn, KI ist eines der Trendthemen, die aktuell in viele ­industrielle Bereiche Einzug halten. Wie lautet Ihre generelle Einschätzung zum Thema KI: Buzzword oder Messias?

A. Dehn: KI ist derzeit ein sehr beliebtes Buzzword. Faktisch hat die Anwendung von Methoden und Algorithmen aus dem Bereich des Machine Learning viele Vorteile. Es darf hierbei nicht vergessen werden, dass Machine Learning und Bildverarbeitung schon sehr lange eng miteinander verknüpft sind und auch die mathematischen Grundlagen der beiden Fachrichtungen sich oft überschneiden. KI ist bereits häufig in Anwendungen zu finden und wird eine zunehmende Rolle durch die Weiterentwicklung im Bereich Deep Learning spielen. Der Hype ist sicherlich auch dadurch begründet, dass Firmen, wie Google, Facebook und Nvidia, sich mit diesem Thema positionieren. KI hat riesiges Potenzial – sie als Messias zu bezeichnen, geht aber zu weit.

Stemmer Imaging selbst setzt Machine Learning seit Langem ein und vertreibt mit CVB Minos, Manto und Polimago Tools für die Objekterkennung, die auf Machine Learning aufbauen.

Sie sagten es bereits: KI-basierte Bildverarbeitungslösungen haben mittlerweile viele Anwendungsfelder erobert. In welchen Applikationen ist der Kundennutzen am größten bzw. das Aufwand-Nutzen-Verhältnis optimal?

A. Dehn: KI ist ein sehr weites Feld, das sowohl Machine Learning als auch Deep Learning umfasst. Soll eine auf Deep Learning basierende KI als selbstständige entscheidungstreffende Einheit genutzt werden, sind beispielsweise selbstfahrende Fahrzeuge (AGV) ein guter Einsatzbereich. Wir sehen hier aktuell ein hohes Interesse an Anwendungen in der Lagerlogistik oder im Produktionsbereich für die selbstständige Material­zuführung. Algorithmen sind darüber hinaus insbesondere in neuen Anwendungsbereichen der industriellen Bildverarbeitung von großem Nutzen. Hierbei geht es oft um die Bildaus- und -bewertung von organischem Material, wo KI in der Gut/Schlecht-Bewertung in Anwendungen wie Sortierung seine Stärken voll ausspielen kann.

Herr Kemm, viele BV-Anbieter ertüchtigen ihre Software um Deep-/Machine-Learning-Funktionen, manche bieten automatisierte Analyse-Tools, wieder andere bieten KI-Vision-Starter-Kits an, … Welche Herangehensweise empfehlen Sie Ihren Kunden beim Angehen des Themas KI und welche Lösungen hat Stemmer Imaging im Portfolio?

U. Kemm: An Deep Learning werden vielfach zu hohe Erwartungen gestellt, auch teilweise durch Missverständnisse über die Wirkungsweise von Machine-Learning-Algorithmen. Eine gute Herangehensweise ist unseres Erachtens nach, am Anfang zu prüfen, ob für die jeweilige Aufgabenstellung Trainingsbilder verfügbar sind bzw. wie hoch der Aufwand wäre, ein geeignetes Trainingsset zur Verfügung zu stellen. Bereits hier wird oft schon schnell deutlich, dass es besser ist, auf eine bestehende Lösung ohne Deep Learning zu setzen. Je nach Anwendung sind andere Machine-Learning-Methoden oder auch klassische Bildverarbeitung eine gute Alternative zum Deep Learning. Weiterhin muss im Vorhinein auch Wissen zur Bewertung des Lernvorgangs und die Einstellung der notwenigen Parameter, zum Beispiel Lernraten, Augmentation, Art des Netzes, Abklingzeiten, Optimierer etc., aufgebaut werden. Der zeitliche Aufwand für diesen Wissensaufbau wird häufig unterschätzt. Stemmer Imaging bietet deswegen Seminare und Schulungen zu diesem Thema an. In diesen Schulungen werden Grundlagen vermittelt und anhand von Beispielen und Fallstudien verschiedene Herangehensweisen aufgezeigt.

Ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium, ob Deep Learning eine sinnvolle Lösung ist, sind die Hardwarekosten. Deep Learning verlangt eine sehr leistungsstarke Hardware, die insbesondere dann teuer ist, wenn man nicht auf Clouddienste setzen möchte oder kann. Durch unsere breite Hard- und Softwarekompetenz unterstützt Stemmer Imaging in der Abwägung der verschiedenen Varianten. Unsere eigene Machine-Learning-Software sehen wir hierbei als sehr relevant, weil sie speziell für den Einsatz mit wenigen Trainingseinheiten und verständlichen Parametern designt wurde und optimierte Hardwareerfordernisse mitbringt.

Nicht nur BV-Anbieter nähern sich dem Thema KI an, sondern auch KI-Experten dringen immer weiter in den BV-Markt vor. Letztere verweisen auf ihre jahrzehntelange KI-Erfahrung. Mit welchen Argumenten punkten BV-Anbieter bei ihren KI-basierten Angeboten?

A. Dehn: An die Bildverarbeitung werden hohe Anforderungen gestellt, was Stabilität, Genauigkeit und Geschwindigkeit der Lösung betrifft. Antworten auf Fragen, welche Sensoren und Belichtung für die jeweilige Anwendung am besten geeignet sind, benötigen Expertenwissen. Dieses Expertenwissen unterscheidet BV-Anbieter von KI-Experten. Die Bilddaten müssen erzeugt werden, denn nur eine gute Bildqualität ermöglicht eine qualitative Anwendung von Machine Learning. Zudem kann eine geeignete Vorverarbeitung der Bilder für Machine Learning hilfreich sein und auch hier sehen wir einen Vorteil von BV-Anbietern, die ein breites Portfolio an Methoden und Algorithmen haben. Die KI- und BV-Expertenbereiche werden daher zusammenwachsen, um die Aufgabenstellungen von morgen mit innovativen Lösungen zu beantworten. Das ist das Spannende an unserer Branche.

 

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