Interview mit Ronald Sieber und Stefan Hennig

Ronald Sieber und Stefan Hennig

Ronald Sieber, Vorstandsvorsitzender der Sys Tec Electronic AG (links), und Stefan Hennig, Head of Transconnect bei der SQL Projekt AG. (Bild: SQL Projekt AG)

Warum scheitern Digitalisierungsprojekte so oft? Welche Hürden sehen Sie?

Stefan Hennig: Digitalisierungsprojekte scheitern, wenn sie der Digitalisierung wegen aufgesetzt werden. Wichtig ist, dass sie klar definierten ökonomischen Zielen folgen und an den Wertschöpfungsprozessen ausgerichtet sind. Scheitern ist aber auch OK — und sogar wichtig. Wie lernen Sie Fahrrad? Sie fallen ab und an auf die Nase, entwickeln dann aber ein starkes Gefühl dafür, wie weit Sie sich bei nasser Fahrbahn in die Kurve legen können. Wichtig ist wirklich, eine gesunde Fehlerkultur zu entwickeln und nach einem Fehlgriff schnell wieder auf die Beine zu kommen, zu lernen und im nächsten Anlauf diese neuen Erfahrungen gewinnbringend einzubringen. Wie sagt es Elon Musk: „Failure is an option here. If things are not failing, you are not innovating enough.“

Ronald Sieber: Aus Erfahrung empfehlen wir jedem Interessierten, Digitalisierungsprojekte mit derselben Ernsthaftigkeit und Akribie anzugehen, wie Kundenprojekte. Die leider gar nicht so seltene Herangehensweise – das macht bei uns erstmal der Student – funktioniert nicht. Es ist wichtig, von Anfang an, ein klares Ziel zu definieren und alle beteiligten Personen im Unternehmen mit ins Boot zu holen. Nur wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, kann Digitalisierung erfolgreich umgesetzt werden. Es muss klar kommuniziert werden, dass Digitalisierung keine Form der Überwachung ist. Stattdessen ist es wichtig, den Mitarbeitern die Vorteile der Digitalisierung zu vermitteln, beispielsweise die Entlastung von monotonen, sich wiederholenden Aufgaben.

Wie kann bei ständig wechselnden Rahmenbedingungen und komplexen Anforderungen trotzdem ein gemeinsames Ziel erarbeitet werden?

Stefan Hennig: Grundsätzlich ist das eine Frage der Methodik. Wie bieten mit dem Agilen Integration Framework ein iteratives Vorgehensmodell, welches das regelmäßige Hinterfragen der Wertschöpfungsprozesse und das Erkennen von Engpässen und Chancen ermöglicht. Dieses Vorgehensmodell bringt die Vision, die Strategie inklusive Markt und Prozesse sowie die Systeme in Einklang. Definiert wird ein klares und im gesamten Unternehmen kommuniziertes Zielbild. Es werden klare Roadmaps herausgearbeitet, die in kleinen, aber sinnvollen Teilschritten unterteilt sind. Natürlich gehört die Aufstellung des Business Case dazu, verbunden mit einer ehrlichen Nutzenbetrachtung. Das Modell beinhaltet  ein konsequentes Voranschreiten, wobei es nach jedem Teilschritt eine Retrospektive gibt: Wie sind wir vorangekommen? Was können wir in der Zusammenarbeit verbessern? Warum sind wir gescheitert? Erst dann beginnt der Zyklus eines neuen Durchlaufs. Erst nach der Erstellung der Roadmap sprechen wir über die Technik und die nötigen Investitionen.

Übrigens: Bei dieser zyklischen Vorgehensweise ist das Scheitern auch nicht so schmerzhaft, denn wir scheitern eher in kleinen Abständen. Es wird schnell erkannt, schnell gelernt und schnell gegengesteuert.

Mit welchen Schritten sollte gestartet werden, um die Digitalisierung umzusetzen?

Ronald Sieber: Zuerst muss ein konkretes Ziel definiert werden: Was soll erreicht werden? Der Einstieg läuft dann über Proof-of-Concept: Dazu wird je Digitalisierungs-Level ein Gerät als typischer Repräsentant definiert und je Repräsentant zwei bis drei Prozessparameter erfasst. Als nächstes werden die Aussagekraft und der Nutzen der im Proof-of-Concept gewonnen Informationen bewertet. Dann werden die nächsten Umsetzungsschritte in Form einer Roadmap auf Basis der im Proof-of-Concept gewonnenen Erfahrungen definiert.

Stefan Hennig: Wichtig ist noch die Positionsbestimmung: Wunschzustand reflektieren, Istzustand bewusst machen, Engpässe identifizieren sowie strategische Handlungsoptionen entwickeln.

Wie wird frühzeitig ein erkennbarer Kundennutzen generiert?

Stefan Hennig: Dazu verhilft die iterative Vorgehensweise: Nach jeder Iteration, also nach jedem Umsetzungs-Sprint, steht etwas, das produktiv genutzt wird. Es wird in kleinen, aber nutzstiftenden Schritten vorangeschritten. Zuerst gibt es eine Positionsbestimmung. Somit können nach jedem Umsetzungs-Sprint Änderungen eingebracht werden; die Engpässe werden neubewertet und der Markt wird erneut betrachtet. Diese neuen Erkenntnisse fließen regelmäßig in die Roadmap ein. Und: Jede Iteration wird mit meinem konkreten Business Case untersetzt.

Welche Technologien in Bezug auf Soft- und auf Hardware kommen zum Einsatz und warum gerade diese?

Ronald Sieber: Das Edge-Computing ist eine tragende Säule für erfolgreiche Digitalisierungsprojekte. Es sorgt gleichermaßen für eine hohe Verfügbarkeit als auch für Datensouveränität durch Schutz sensibler Daten. Edge-Computing kombiniert die Vorteile einer lokalen Steuerung mit den Annehmlichkeiten einer Cloud: Es ermöglicht die ressourcenschonende lokale Verarbeitung der Daten am Ort des Entstehens. Dies vermeidet „Flaschenhälse“ und führt zu einer geringen Latenz. Die kontinuierliche Überwachung ist in Echtzeit möglich. Die Prozesssteuerung erfolgt direkt vor Ort und unabhängig von einer Cloud. Zum Beispiel ost im Gebäudemanagement ein autonomer Notbetrieb wichtig.

Weiterhin erhöht Edge-Computing die Datensouveränität. Sensible Daten lassen sich leichter schützen und isolieren. In die Cloud werden nur aggregierte bzw. verdichtete Daten übertragen.

Die geringe Latenz führt zu schnellen Entscheidungsprozessen. Die Systeme sind einfach skalierbar: Je Maschine verarbeitet ein eigener Edge-Controller die lokalen Sensordaten in Echtzeit. In der Cloud können dann Daten verschiedener Standorte zusammengefasst werden. Dashboards erlauben einen ortsunabhängigen Zugriff auf wichtige Informationen. Service-Techniker werden bei Störungen alarmiert.

Nutzen Sie Low-Code?

Ronald Sieber: Ja klar. Low-Coding ermöglicht es auch Nicht-Informatikern, neue Datenquellen und -senken einfach einzubinden und Anpassungen an bestehenden Systemen eigenständig vorzunehmen. Damit können die Know-how-Träger, wie Prozesstechnologen und Produktionsplaner aktiv in die Digitalisierungsprojekte eingebunden werden. Das erhöht einerseits die Akzeptanz der Digitalisierungsprojekte in den Fachabteilungen und zum anderen entfällt damit auch die „sprachliche Hürde“ zwischen Fachabteilungen und den Informatikern.

Low-Coding kann seine Vorteile umso besser ausspielen, je mehr die Digitalisierung auf offene Standards für Sensoren und Kommunikationsprotokolle aufbauen kann, da hierfür in der Regel bereits fertige Elemente wie Templates und Building- Blocks existieren. 

Wir nutzen in unseren Steuerungen Node-Red als Low-Coding-Plattform. Hierfür existieren zum Beispiel Nodes für OPC UA, MQTT, Modbus sowie analoge und digitale IO unserer Edge-Controller.

Stefan Hennig: Unsere Low-Code Integrationsplattform Transconnect bildet die Brücke zwischen Shopfloor und Topfloor. Sie ermöglicht die Automatisierung von Geschäftsprozessen über Systemgrenzen hinweg, also von Shopfloor- über Topfloor- Systemen bis hin zu Kunden- und Lieferantensystemen. Das wichtigste dabei ist, dass Transconnect Edge- und Cloud-fähig ist und auch als Kombination. Sie können also Integrations- und Geschäftsprozesse über beliebig viele Instanzen von Transconnect hinweg automatisieren: von der Maschine in der Edge bis zur Verbindung von Standorten über eine Cloud.

Wie finden Unternehmen, die Digitalisierungsvorhaben starten wollten, die richtigen Partner? Woran lassen sich die richtigen Partner erkennen?

Ronald Sieber: Ein kompetenter Partner besitzt in der Regel eigene Produkte zur Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben, langjährige Erfahrung und kann idealerweise Referenzen erfolgreich umgesetzter Digitalisierungsprojekte im eigenen Unternehmensumfeld vorweisen. Der Einstieg muss immer über den Nutzen kommen und nicht über Technologie. Sie erkennen den richtigen Partner daran, dass er Ihnen Fragen zu Ihren Wertschöpfungsprozessen und zu Ihren gefühlten Engpässen stellt. Er stellt unbequeme Fragen, ist ehrlich zu Ihnen und gibt Ihnen Hausaufgaben auf. Er versucht nicht, Ihnen einfach nur Technik zu verkaufen, sondern versucht, Ihren Engpass zu lösen.

Warum ist die Anwendung agiler Methoden bei Digitalisierungsvorhaben so wichtig? Welche agilen Methoden setzen Sie ein?

Stefan Hennig: Vergleichen Sie ein Digitalisierungsvorhaben mit einer geplanten Reise von Dresden nach Hamburg: Sie kennen Ihren Ausgangspunkt und ihr Ziel, Sie kennen Ihre Reiseoptionen, zum Beispiel Auto, Bahn, Mitfahrgelegenheit und ähnliches. Sie wissen aber nicht, welche Unwägbarkeiten unterwegs lauern. Sie tasten sich Abschnitt für Abschnitt vor, beobachten und erkennen frühzeitig Hürden, wie es Ihr Navigationssystem tut. Ihr Navigationssystem erkennt Hürden (Stau auf der A13), bewertet die Alternativen und schlägt sie Ihnen vor. Sie entscheiden bewusst, wie sie Ihren Weg fortsetzen. Je kleiner die Abschnitte zur Bewertung sind, desto öfter haben Sie die Chance, Ihre Roadmap „nachzuschärfen“. Sie können aus den Erfahrungen der vorhergehenden Abschnitte lernen, regelmäßig auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren und diese auch als Chance begreifen.

Wichtig dabei sind: Sie passen Ihre Vorhaben an die reale Welt an, Sie richten sie an Ihrer Wertschöpfung aus, an Ihren Kunden und am Markt — und der wird immer schneller. Die agile Softwareentwicklung macht es dabei vor: Die Softwareprojekte sind zwar äußerst komplex. Mit agilen Methoden kommt am Ende aber das raus, was den größten Nutzen stiftet. So ist es auch mit Digitalisierungsprojekten: Es müssen Mehrwerte und ein größtmöglicher Nutzen entstehen.

www.systec-electronic.com

Ronald Heinze
2 / 2

Ähnliche Beiträge