Interview: Jochen Ditsche, Urs Neumair und Christoph Steiger
Wie lassen sich aus Ihrer Sicht zukünftig beide Themen optimal zusammenbringen?
U. Neumair: Aus unserer Sicht bedingen sich die beiden Themen teilweise gegenseitig – vor allem, wenn beide Themen das Ziel verfolgen, ressourcenschonendere Prozesse zu ermöglichen. Wir erwarten daher, dass sich weitere Synergien ergeben werden: Denn während in der ersten Phase der Digitalisierung die Optimierung der eigenen Wertschöpfungsprozesse im Vordergrund stand, sollte in der jetzigen Phase die Priorität auf der Optimierung ganzer Lieferketten über Unternehmensgrenzen hinweg liegen. Dadurch lassen sich Logistik- und Transportaufwände reduzieren sowie Bestände und Ausschüsse minimieren. Technologisch können hier Themen, wie sensorbasierte, durchgängige Überwachung der Lieferketten (IoT) oder Blockchain-basierte Smart Contracts, einen weiteren Beitrag leisten.
Durch geeignete Rahmenbedingungen von staatlicher Seite ließe sich diese Verzahnung noch verstärken: Zum einen muss die notwendige Infrastruktur aufgebaut werden – Stichworte: Bandbreite und Netzabdeckung – und zum anderen sollte die seit 2017 geforderte CSR-Berichterstattung (Corporate Social Responsibility) zu klimabezogenen Angaben einheitlicher gefasst und verbindlich gemacht werden, damit die durch Digitalisierung erzielten Fortschritte auch besser nachverfolgbar sind. Darüber hinaus sehen wir Potenzial im Rahmen der schulischen, handwerklichen und universitären Ausbildung. Hier ließen sich nachfolgende Generationen frühzeitig für Nachhaltigkeit und Digitalisierung sensibilisieren, schulen und zur praktischen Anwendung animieren.
Während sich viele Unternehmen noch mitten im digitalen Wandel befinden, trifft die Corona-Krise alle Branchen mit voller Wucht. Bedeutet dies das Aus für die Digitalisierungs- und Klimaschutzbemühungen, da Unternehmen in den nächsten Jahren gezwungen sein werden, ihre gesamte Priorität auf die Rettung bzw. den Wiederaufbau ihres Geschäfts zu legen?
C. Steiger: Die Gefahr besteht, vor allem wenn Kapital knapp wird. Sollte jedoch der Wiederaufbau der Geschäfte durch Investitionen, zum Beispiel aus staatlichen Programmen, gefördert werden, könnte diese Phase einen Schub für die Digitalisierungs- und Klimaschutzbemühungen bedeuten. Insbesondere wenn diese Programme den Klimaschutz und die Digitalisierung gezielt fördern besteht die große Chance, den Grundstein für neue Industriekompetenzen und -angebote zu legen, die Deutschland und Europa im internationalen Wettbewerb nachhaltig stärken.
Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass die derzeitigen Erfahrungen eine Perspektive für das „New Normal" nach der Krise aufzeigen. So ist die kritische öffentliche Wahrnehmung gegenüber verantwortungsbewusstem und -losem Verhalten in der Krise deutlicher geworden – auch deswegen wird aus unserer Sicht der Druck auf Unternehmen steigen, weiter zu digitalisieren und Klimaschutz in den Geschäftszielen und -prozessen zu verankern.
Wir beobachten auch, dass Unternehmen – trotz der Krise – ehrgeizigere Mittelfristziele verfolgen: Während früher Unternehmen als Erfolg verkündeten, den CO2-Ausstoß um 20 % reduziert zu haben, streben sie heute Kohlenstoff-Neutralität an. Dieses neue Anspruchsniveau wird sich in der Krise weiter ausbreiten und die Umsetzung durch Digitalisierung fördern.
Daher sehen wir eher eine Fokussierung auf das Wesentliche bei beiden Themen – dafür aber dann mit konsequenter Umsetzung, die messbare Ergebnisse liefern muss.