
Nico Hartmann, Manufacturing Industry Lead bei Microsoft Deutschland: „In der Produktion lernen KI-unterstützte Maschinen schon heute, sich flexibel auf neue Anforderungen einzustellen, Wartungsbedarf frühzeitig zu erkennen und Qualitätskontrollen in Echtzeit durchzuführen. In den nächsten Jahren wird KI noch stärker in die Produktionsprozesse integriert.“ (Quelle: Microsoft)
Herr Hartmann, in Kooperation mit dem Marktforschungsunternehmen Civey hat Microsoft eine branchenspezifische Analyse zur Nutzung von KI durchgeführt. Was war die aus Microsoft-Sicht wichtigste Erkenntnis aus der Befragung für das Fertigungsumfeld?
N. Hartmann: Künstliche Intelligenz ist kein Experiment mehr, sondern ein immer mehr genutztes Werkzeug – vor allem in herstellenden Betrieben. Mehr als die Hälfte der Büromitarbeiter– um genau zu sein, 52,2 % – nutzt KI mindestens einmal im Monat, und zwar mit Gewinn! Die Studienteilnehmer geben an, dass KI ihre Produktivität und das Zeitmanagement verbessert, und etwas mehr als 6 % erkennen sogar einen Kreativitätsschub. Es gibt aber auch Herausforderungen: Lediglich 37 % der Befragten sagen, dass sie ein gutes Verständnis von KI-Anwendungen haben, und knapp ein Viertel ist sich nicht ganz sicher, was sie aus der KI rausholen können.
Es besteht also Nachholbedarf bei der intelligenten Nutzung und dem Wissen über KI. Unternehmen sollten jetzt handeln: Sie sollten in die Weiterbildung ihrer Teams investieren, denn nur dann können sie das volle Potenzial von KI ausschöpfen. Wir sehen das jeden Tag: Mit den richtigen Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kann die KI schnell strategisch und effizient in bestehende Prozesse integriert werden und die Produktivität verbessern.
Die Umfrage beleuchtet im Wesentlichen KI am Büroarbeitsplatz. Viele Automatisierer und Fertigungsunternehmen nutzen Large Language Models (LLM) allerdings weit darüber hinaus, beispielsweise für den Kundensupport, zur Unterstützung bei Programmierung oder Engineering und vieles mehr.
Bitte zeigen Sie an einem Beispiel aus der Industrie bzw. dem Fertigungsumfeld auf, wie Unternehmen durch den Einsatz von KI profitieren können.
N. Hartmann: Da gibt es jetzt schon ganz viele erfolgreiche Beispiele. Die Wilo-Gruppe, ein führender Anbieter von Pumpen und Pumpsystemen, nutzt in ihrer „Factory“ in Dortmund eine „adaptive Werkassistenz“. Mitarbeiter erhalten unter anderem auf Bildschirmen detaillierte Montageanleitungen für die 12000 Produktvarianten. Das System passt sich der Berufserfahrung und der Fehlerquote der einzelnen Mitarbeiter an. Das Ergebnis: ein Produktivitätsanstieg von über 20 %, 60 % weniger Reklamationen und Einsparungen in Höhe von 5 Mio. € bei den Kosten für Produktionsabweichungen.
Viele wissen aus dem privaten Gebrauch von zum Beispiel ChatGPT, dass die Ergebnisse nicht immer vollständig richtig sind.
Nun wird gerade im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel KI als wichtiger Hebel genannt, diesem entgegenzuwirken. Werden zukünftige Modelle zuverlässiger sein oder müssen auch dann immer noch Experten die Ergebnisse kontrollieren?
N. Hartmann: KI hilft der Industrie, den Fachkräftemangel zu bewältigen. Sie unterstützt ganz gezielt die Teams in der Produktion, steigert ihre Produktivität und hilft auch dabei, Arbeitsprozesse zu automatisieren. Microsoft investiert viel in die KI-Entwicklung, damit die Modelle immer zuverlässiger, robuster, transparenter und vor allem verantwortungsbewusst werden. Dafür werden nicht nur die jeweiligen KI- oder Large-Language-Modelle weiterentwickelt, sondern sie werden vor allem intelligent kombiniert und orchestriert. Unsere Mission ist es, jeden Menschen und jedes Unternehmen in die Lage zu versetzen, KI erfolgreich zu nutzen. Microsoft schafft für diesen Zweck einerseits leicht bedienbare KI-Werkzeuge und -Oberflächen, automatisiert aber auch das gesamte Umfeld im Hintergrund, um korrekte und ethisch vertretbare Ergebnisse zu sichern.
Aber KI kann Menschen und menschliches Fachwissen nur ergänzen, nicht ersetzen! Vor allem bei strategischen oder ethischen Fragen sowie komplexen Sachverhalten müssen immer Menschen entscheiden. Sie sollen die KI als Assistenz und Entscheidungshilfe sowie für die Übernahme von Routinearbeiten nutzen, aber nicht von ihr ersetzt werden. KI-Lösungen wie Microsoft Copilot stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Und jedes Unternehmen muss hier auch die richtige KI-Kultur schaffen, damit die Mitarbeiter die KI-Ergebnisse im richtigen Kontext einordnen können.
Zusammengefasst lässt sich sagen: KI-Modelle werden zuverlässiger. Besonders die neuesten Modelle aus den vergangenen Monaten können komplexere Aufgaben bewältigen und schwierigere Probleme lösen als frühere. Denn sie verfügen über verbesserte „Denkfähigkeiten“ und werden besser orchestriert. Aber die menschliche Expertise bleibt essenziell. Die Zukunft gehört einer Zusammenarbeit von Mensch und KI, bei der Technologie als Verstärker menschlicher Fähigkeiten wirkt.
Was würden Sie heute noch als die größten Hürden rund um das Thema KI bezeichnen?
N. Hartmann: Ein zentrales Thema ist der Umgang mit Nutzerdaten. KI muss so entwickelt und eingesetzt werden, dass der Datenschutz und die Kontrolle durch die Nutzer gewährleistet sind. Microsoft hat sich schon lange dazu verpflichtet, KI nur auf der Basis klarer ethischer Prinzipien zu entwickeln. Wir unterstützen Unternehmen dabei, das EU-Gesetz über künstliche Intelligenz – den sogenannten EU AI Act – einzuhalten und gleichzeitig verantwortungsbewusste KI-Innovationen zu fördern. Doch es braucht eigentlich eine globale Regulierung der KI, die einen klaren Rechtsrahmen schafft, Innovationen fördert, vor Risiken schützt und für ausgeglichene Verhältnisse zwischen den einzelnen KI-Standorten sorgt.
Eine weitere Herausforderung liegt in der Integration von KI in bestehende Unternehmenssysteme. Es mangelt immer noch an qualifizierten KI Experten. Aus diesem Grund hat Microsoft die Allianz für KI-Kompetenz gegründet, um durch zielgerichtete Bildungsinitiativen und Schulungsprogramme die Fachkräfte in Deutschland besser auf die KI-Ära vorzubereiten.