Bild 01: Beispiel für Komponenten mit integrierter Messtechnik: Lasttrennschalter mit Sicherungen (links) für Niederspannungshaupt- und -unterverteilungen sowie Sicherungslasttrennschalter für die Trafostationen oder die Kabelverteiler. (Quelle: Jean Müller)
Die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors sowie die Zunahme dezentraler Stromerzeugungskapazitäten führen zu einer höheren Auslastung, als bei der Planung vieler Verteilnetze oder Niederspannungsverteilungen vorgesehen war. Zudem findet eine häufige Lastflussumkehr statt. Überlastungen in der Niederspannung sind also wahrscheinlicher. Dazu kommt, dass dezentrale Stromerzeuger bei kurzschlussbedingten Netzabschaltungen den Kurzschluss weiter speisen dürfen, um somit Netzausfällen vorzubeugen.
Damit es nicht zu Ausfällen des Niederspannungsnetzes (NS-Netz) kommt, dürfen Netzbetreiber nach §14a des EnWG die Leistung ausgewählter regelbarer Erzeuger und Verbraucher (zum Beispiel Ladestationen) steuern – und brauchen als Entscheidungsgrundlage dafür Kenntnis über den aktuellen Netzzustand. An der Digitalisierung der Niederspannungsverteilung führt somit kein Weg vorbei. Doch mit welcher Tiefe und mit welchem Aufwand soll digitalisiert werden?
Digitalisierung als Chance begreifen
Zur Beantwortung dieser Frage ist es nützlich, die Digitalisierung nicht als Pflicht anzusehen, sondern als eine Chance. Als Gelegenheit, eine bislang nie dagewesene Transparenz zu schaffen, die vielfachen Nutzen stiftet. Denn auf Basis von verlässlichen und aktuellen Betriebsinformationen, Ereignissen und historischen Daten lassen sich
- das Verhalten der Verbraucher und Erzeuger im überwachten Zweig beobachten,
- somit Anlagen der NS-Verteilung leichter managen und Überlastungen vermeiden,
- Konflikte bei der Leistungsregelung regelbarer Verbraucher und Erzeuger minimieren,
- vorhandene Kapazitäten vom Transformator bis zum Endverbraucher bestmöglich ausnutzen,
- freie Kapazitäten für neue Verbraucher oder dezentrale Erzeuger exakt ermitteln,
- die Netzplanungen auf Basis von echten Erfahrungswerten optimieren,
- verschleißfördernde Bedingungen (auch Temperatur) erkennen sowie
- Fehler schneller erkennen, orten und beheben.
Zum Beispiel wären Netzbetreiber nicht darauf angewiesen, dass Endkunden eine Störung melden, sondern könnten bereits aufgrund von Ereignismeldungen in der Leitstelle den Fehlerort eingrenzen und dem Entstörungsteam wertvolle Informationen liefern. Das reduziert die Netzausfallzeit und die Instandsetzungskosten. Oder Asset-Manager erkennen Engpässe in der Verteilung zuverlässig und können ihre Instandhaltungs- sowie Netzausbaumaßnahmen zielgerichteter planen und ihre Budgets besser einsetzen. Von der Digitalisierung profitieren somit viele Bereiche, zum Beispiel Netzplanung, Instandhaltung/Wartung, Leitstelle/Infrastrukturmanagement und der Entstörungsdienst.
Geht es nur um die Vermeidung der Netzüberlastung, genügt als Entscheidungsgrundlage für eine Leistungsreduktion an Ladestationen und Wärmepumpen oder PV-Anlagen meistens das Messen der Ströme. Als Sensoren kommen Stromwandler oder Rogowski-Spulen für die Strommessung infrage. Beide erlauben ein Nachrüsten von Bestandsstationen oder Verteilerschränken. Allerdings bedeutet das „einfache“ Nachrüsten von Rogowski-Spulen zum Beispiel einen hohen Verdrahtungsaufwand, die Sensoren benötigen relativ viel Platz und bei der Installation können leicht Fehler gemacht werden. Eine Alternative sind Stromwandler in NH-Sicherungslastschaltleisten, die ebenso wenig Bautiefe aufweisen wie konventionelle Sicherungslastschaltleisten. Sie sind ab Werk vorverdrahtet und sicher zu montieren, doch auch hier ergibt sich ein hoher Material- und Arbeitsaufwand, um „nur“ die Ströme zu erfassen. Daher kann es sich lohnen, direkt in größeren Dimensionen zu denken und auf einen Schlag mehr Messwerte zu erfassen.
Mehr Informationen auf einen Schlag
Werden zum Beispiel neben den Strömen auch die einzelnen Spannungen gemessen, lassen sich die Wirk-, Blind- und Scheinleistung ermitteln. Zusätzlich erlaubt moderne Technik das Ermitteln der Frequenz. Auch Oberschwingungen und Klirrfaktoren lassen sich messen. Historische Daten erlauben somit Auswertungen bezüglich der Netzqualität, beispielsweise wie oft und für welche Dauer das Spannungstoleranzband verletzt wurde, ob Spannungseinbrüche abrupt erfolgten oder wann Frequenzabweichungen auftraten. Ergänzt um eine Temperaturmessung ergibt sich ein vollständiges, aussagekräftiges Bild davon, was in dem Abzweig geschieht und welchem Stress die Verteilung ausgesetzt ist.