Abbildung aufgeschlagenes Buch Studie

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"Weltweit durchläuft der Maschinen- und Anlagenbau einen solch tiefgreifenden Wandel wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Bereits seit geraumer Zeit ist die digitale Transformation im Gange. Daneben muss sich die Branche inzwischen mit der Dekarbonisierung, der Neuordnung der Lieferketten sowie einer grundlegenden Weiterentwicklung der eigenen Geschäftsmodelle auseinandersetzen", gibt die internationale Unternehmensberatung Bain & Company an. In ihrem „Global Machinery & Equipment Report 2022“ analysiert sie die disruptiven Veränderungen und zeigt auf, wie die Branche darauf reagieren kann.

„Der Maschinen- und Anlagenbau ist mit einem immer intensiver werdenden Wettbewerb nicht zuletzt durch chinesische Anbieter konfrontiert“, betont Bain-Partner Michael Staebe, Leiter der Praxisgruppe Industriegüter und -dienstleistungen in der DACH-Region und Co-Autor des Reports. „Anders als gewohnt kann er sich nicht mehr mit Hardware-zentrierten Innovationen absetzen.“ Dies verhindere schon die Digitalisierung, die nahezu die gesamte Wertschöpfungskette erfasse und umwälze.

Den Fokus auf immer intelligentere, schnellere und günstigere Maschinen zu legen, ist in diesem Umfeld aus Sicht der Experten kein Erfolgsgarant mehr. Die Wertschöpfung entstehe vielmehr aus der Kombination von Hardware mit entsprechender Software, aus fortschreitender Automatisierung und zugehörigen Services. "Gefragt sind integrierte, passgenau auf die Kundenbedürfnisse abstimmte Lösungen. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das Geschäftsmodell", sind dei Experten überzeugt. „Wie in der IT gehört die Zukunft As-a-Service-Modellen“, konkretisiert M. Staebe. „Die Kundschaft zahlt letztlich für die tatsächliche Nutzung einer Maschine.“

Software und Services weiter im Kommen

Die rückläufige Bedeutung der Hardware zeichnet sich bereits seit Längerem ab. Ihr Anteil an den Gewinnen beispielsweise in der industriellen Automatisierungstechnik wird dem Bain-Report zufolge bis 2030 weiter fallen – von derzeit 31 % auf dann 23 %. „Der Trend in Richtung Software und Services beschleunigt sich“, erklärt Thomas Lustgarten, Bain-Partner und Co-Autor des Reports. „2030 werden führende Maschinen- und Anlagenbauer den Großteil ihrer Hardware nur noch als Teil einer kompletten Lösung verkaufen.“ Unternehmen, die auf diese Entwicklung zeitnah reagieren würden, könnten wesentlich schneller wachsen und ihren Wert deutlich steigern. Schon von 2019 bis 2021 ist die durchschnittliche jährliche Aktienrendite (Total Shareholder Return) solcher Vorreiter laut Bain-Report um 32 % gestiegen; Nachzügler verzeichneten nur 4 %.

Eine entscheidende Rolle beim Wandel der Geschäftsmodelle spielt für Bain die intelligente Nutzung von Daten. Auch hier würden Vorreiter den Weg weisen. "Sie verändern beispielsweise mit Predictive und Remote Maintenance das Wartungs- und Reparaturgeschäft von Grund auf. Andere Branchenplayer folgen", so die Experten. So geben alle der rund zwei Dutzend von Bain befragten Unternehmen an, bis 2024 eine vorausschauende Wartung anbieten zu wollen. Fernwartung möchten dann 95 % leisten.

Dekarbonisierung als Wachstumshebel

Neue Wachstumschancen ergeben sich Bain zufolge zudem aus der weltweit angelaufenen Dekarbonisierung, da diese in der Regel mit einer Modernisierung des Maschinenparks einhergeht. Je entschlossener Anbieter die Dekarbonisierung der eigenen Produkte und ihres Betriebs vorantreiben und je früher sie damit einer klimaneutralen Fertigung gerecht würden, desto größer werde ihr Vorsprung im Wettbewerb.

Als eng verbunden mit dem Ausbau der Nachhaltigkeitskompetenz wird eine Umstellung der Lieferketten genannt. Über alle Branchen hinweg gewichten die Supply-Chain-Verantwortlichen laut Bain-Befragungen Resilienz und Flexibilität zunehmend höher als Kosten und Geschwindigkeit. "Wurde dies zunächst durch die Corona-Pandemie forciert, sorgen nun die Folgen des Ukraine-Kriegs für eine weitere Beschleunigung. Digitale Technologien erleichtern den Maschinen- und Anlagenbauern auch hier die notwendigen Anpassungen. So lassen sich Effizienzreserven in den Lieferketten systematischer heben, Risiken frühzeitiger erkennen und ökonomische wie ökologische und soziale Kennzahlen in Echtzeit nachvollziehen", schlussfolgern die Experten.

M&A sorgen für mehr Technologiekompetenz

Um die disruptiven Veränderungen bewältigen zu können, setzen nach Angaben der Unternehmensberatung immer mehr Maschinen- und Anlagenbauer auf Zukäufe. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 habe sich der Wert aller M&A-Transaktionen in dieser Branche weltweit auf 72 Mrd. US-$ beziehungsweise 63 Mrd. US-$ belaufen – und habe damit deutlich über dem Niveau in den vergangenen zehn Jahren gelegen. „Mit Übernahmen und Fusionen verschaffen sich Maschinen- und Anlagenbauer Zugang zu besonders wachstumsstarken und erfolgskritischen Märkten“, sagt M. Staebe. Begehrt seien vor allem Unternehmen, die auf Software, Internet der Dinge, künstliche Intelligenz oder Konnektivität spezialisiert sind, um mit ihrer Hilfe den eigenen Wandel hin zu lösungs- und serviceorientierten Geschäftsmodellen zu forcieren. Zugleich sind Private-Equity-(PE-)Anbieter in der Branche aktiver denn je. In Deutschland sorgte 2020 vor allem der Verkauf der Thyssenkrupp-Aufzugssparte für rund 17 Mrd. € für Aufsehen.

Vor diesem Hintergrund stellen sich die Maschinen- und Anlagenbauer intern zunehmend neu auf. „Dezentralisierung ist das Gebot der Stunde“, konstatiert Bain-Experte T. Lustgarten. Fokussierte Geschäftsbereiche sollten mit mehr Eigenverantwortung auch über strategische Weichenstellungen und Innovationen entscheiden. Einer schlanken Zentrale wiederum käme eine eher unterstützende Rolle zu. T. Lustgarten ergänzt: „Je früher sich Maschinen- und Anlagenbauer der Herausforderung des disruptiven Wandels annehmen und ihre Organisation anpassen, desto größer ist ihre Chance auf ein starkes und profitables Wachstum in den kommenden Jahren.“

Bain (ih)

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