R. Stahl und Softing Industrial Automation entwickeln gemeinsam Produkte und Lösungen in Form von Ethernet-APL-Power-Switches und -Field-Switches

R. Stahl und Softing Industrial Automation entwickeln gemeinsam Produkte und Lösungen in Form von Ethernet-APL-Power-Switches und -Field-Switches (Quelle: Softing)

Herr Fritsch, R. Stahl hat als eins von zwölf Unternehmen im Ethernet-APL-Projekt die Grundlagen für Ethernet im Ex-Bereich erarbeitet. Bitte erläutern Sie zunächst noch einmal Details und Vorteile der Zwei-Draht-Ethernet-Technologie für die Prozessindustrie.

A. Fritsch: Die Forderung der Anwender nach digitaler Kommunikation bis in die Feldebene ist nichts Neues und es gibt und gab ja auch bereits diverse Lösungsansätze dafür. Aber genau da liegen die Probleme der Anwender. Die verfügbaren Lösungen sind vielfältig, untereinander nicht kompatibel und vor allem zumeist nicht für moderne Digitalisierungskonzepte geeignet. Daher der Ruf nach einem „Ethernet in the field“ – und die passende Antwort darauf mit Ethernet-APL. Ethernet-Advanced Physical Layer (APL) ist die Schlüsseltechnologie, um bis in die Feldebene zu digitalisieren. Dabei setzt Ethernet-APL auf globale, offene Standards der IEEE und der IEC, wie auf die 2-Draht-Lösung mit 10 Mbit/s und Eignung für Entfernungen bis 1.000 m – standardisiert als 10Base-T1L. Für die speziellen Anforderungen der Prozessindustrie hat darauf aufbauend das Ethernet-APL-Team Ergänzungen wie die eigen­sichere Anbindung und Speisung von Feldgeräten entwickelt. Somit kann der Anwender die weltweit verbreitete und indus­trieübergreifend eingesetzte Ethernet-Technologie auch in seinen prozesstechnischen Anlagen verwenden.  

Die im Projektteam mitarbeitenden Unternehmen haben zur Achema Pulse erste Lösungen präsentiert. Bitte geben Sie einen allgemeinen aktuellen Status zu den Entwicklungen rund um Ethernet-APL.

A. Fritsch: Die Ethernet-APL-Arbeitsgruppe hatte sich bei ihrer Gründung einen ehrgeizigen Zeitplan gesetzt, um auf der Achema 2021 Produkte präsentieren zu können. Um diesen umzusetzen, wurden die erforderlichen Arbeiten parallelisiert: In der Port-Profile-Gruppe sind die elektrischen Parameter bzgl. Speisung und Kommunikationspegel der Ethernet-APL-Ports definiert. Hier liegt die Release-Version 1.0 vor, mit der Hersteller in die Entwicklung von Geräten einsteigen können. Gleiches gilt hinsichtlich der Anforderungen für die EMV-Prüfungen. Seitens der Elektronikhersteller konnten dann die erforderlichen neuen Physical-Layer-Chips zeitnah für die Entwickler zur Verfügung gestellt werden. Die dazugehörigen Conformance Tests sind kurz vor der Fertigstellung, sodass Geräte prüfbar sind. Hierfür werden wir beispielsweise unsere Ethernet-APL-Field-Switches in Kürze bereitstellen. Um Zusammenschaltungen eigensicherer Ethernet-APL-Stromkreise so einfach wie nur möglich zu gestalten, haben wir auf IEC-Ebene in Rekordzeit die IEC TS 60079-47 „Equipment protection by 2-wire intrinsically safe ethernet concept (2-Wise)“ erarbeitet und im März 2021 herausgebracht. Und um die neue Technik auch korrekt in den Anlagen einzusetzen, ist ein Engineering Guide verfügbar, der die Topologien, den Explosionsschutz und die Planung für den Anwender beschreibt. Das heißt: Die technischen Grundlagen sind verfügbar und die Hersteller sind derzeit am Umsetzen und vor allem am Testen, Testen, Testen.  

Herr Rummel, industrielle Kommunikation bzw. standardisierter Datenaustausch gehören zu den Kernkompetenzen von ­Softing. Wie lautet Ihre Einschätzung zu Ethernet-APL?

T. Rummel: Ethernet-APL wird die industrielle Kommunikation in der Prozessindustrie revolutionieren. Es erfüllt die Installa­tions- und Sicherheitsanforderungen der Prozessindustrie. Mit 10 Mbit/s bietet es zudem eine gute Bandbreite, welche deutlich höher ist als alle Technologien, die bisher zur Verfügung standen. Durch die Unterstützung von Ethernet können nun alle ethernetbasierten Kommunikationsprotokolle der Controller- und Industrial-Edge-Ebene bis in die Feldgeräte-Ebene genutzt werden. Dies erlaubt dann auch die direkte Umsetzung von offenen Architekturkonzepten wie der Namur Open Architecture (NOA).    

Mitte Juni haben Ihre beiden Unternehmen ihre Zusammen­arbeit rund um das Thema Ethernet-APL angekündigt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit, welche gemeinsamen Pläne verfolgen Sie und wie profitiert der Kunde davon?

T. Rummel: R. Stahl ist schon seit Jahren ein Partner von uns im Bereich der Feldbus-Infrastrukturkomponenten für die Prozessindustrie und ein guter Kunde unserer FPGA-basierten Kommunikationslösungen. Auf dieser Basis kamen wir schnell zu dem Entschluss, unsere Kräfte für die Entwicklung einer gemeinsamen Ethernet-APL-Switch-Produktlinie zu bündeln. Softing Industrial bringt seine Erfahrung mit industriellen Switches und Kommunikationslösungen ein und R. Stahl seine Expertise im Explosionsschutz und in der Stromversorgung von Feldgeräten.    

A. Fritsch: Beide Unternehmen, Softing und R. Stahl, arbeiten sehr kundenorientiert. Vermutlich funktioniert unsere Zusammenarbeit auch deshalb so gut. Jedes Unternehmen hat ­Stärken und Schwächen und falscher Ehrgeiz, alles selbst neu erfinden und entwickeln zu wollen, ist kontraproduktiv und mündet häufig in einem Kompromiss für den Kunden. Genau das vermeiden wir hier bei Ethernet-APL: Der Kunde erhält quasi das Beste aus beiden Welten: die explosionsgeschützte Hardware und die hoch funktionelle Software. Nicht zu vergessen sind Beratung und Support, die damit natürlich auch optimal für die jeweilige Aufgabenstellung verfügbar sind.

Wann werden erste gemeinsame Lösungen verfügbar sein?

A. Fritsch: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch sehr schwer zu beantworten. Bei einer neuen Technologie ergeben sich neue Herausforderungen und Unwägbarkeiten. So kann heute noch niemand mit Gewissheit sagen, wie gut die Produkte unterschiedlicher Hersteller miteinander auch unter Extrembedingungen funktionieren. Daher werden wir im Ethernet-APL-Team sehr ausführlich testen und gemeinsame Interoperabilitätstests durchführen. Auch dafür haben wir mit Softing einen sehr kompetenten Partner an unserer Seite. Mit den geplanten Produkten und Lösungen adressieren beide Unternehmen ihre Kernmärkte. So wird R. Stahl beispielsweise speziell den Zone-1-Markt bedienen, da hier neben den Ethernet-APL-Komponenten insbesondere die geeignete Feldinstallation für die Zone 1 gefordert ist. Mit diesen Zone-1-System­lösungen konnten wir unter anderem mit unseren Remote-IO-Systemen über die letzten 35 Jahre viel Erfahrung sammeln, die jetzt dem Anwender bei Ethernet-APL zugutekommt. 

T. Rummel: Softing ist seit Jahrzenten mit Ethernet-Gateway-Lösungen für die Feldbusse der Prozessautomatisierung auf dem Markt aktiv. Diese sind normalerweise in der Ex-Zone 2 installiert. Auch bei unseren APL-Switch-Produkten werden wir uns auf Installationen in der Ex-Zone 2 oder im nicht-explosionsgefährdeten Bereich fokussieren. Somit haben wir ebenfalls beim Produktangebot durch die Zusammenarbeit eine hervorragende Ergänzung. 

A. Fritsch: Ich denke, dass auf der Achema 2022 Interessantes von beiden Unternehmen zu sehen sein wird. 

T. Rummel: Ja, auf der Achema 2022 werden wir neben den APL-Switches auch das „commModule APL“ für die einfache Realisierung von APL in Feldgeräten präsentieren.

Welcher Aufwand erwartet Anwender bei der Umstellung der bestehenden Infrastruktur, mit zum Beispiel Hart oder FF, auf Ethernet-APL-Technologie? 

A. Fritsch: Ziel der Ethernet-APL-Arbeitsgruppe war und ist es, diesen Umstieg für den Anwender so einfach wie möglich zu gestalten. So haben wir beispielsweise großen Wert darauf gelegt, dass die bei FF H1 und Profibus PA häufig eingesetzten Typ-A-Leitungen auch mit Ethernet-APL weiter verwendbar sind. Selbst qualitativ weniger hochwertige Leitungen, die eventuell bei klassischen 4...20-mA- und Hart-Installationen eingesetzt wurden, sind mit Einschränkungen verwendbar. Dazu wurden verschiedene Leitungskategorien spezifiziert, mit denen auch Bestandsanlagen ohne Änderung der Verkabelung modernisiert werden können. Ein weiterer Vorteil der Ethernet-Technologie ist, dass ganz unterschiedliche Systeme in einem Netzwerk miteinander funktionieren. So kann man zum Beispiel einen Anlagenteil mit Ethernet-APL-Feldgeräten bauen, während ein anderer Anlagenteil noch konventionelle Feldgeräte nutzt und diese über ethernetfähige Remote-IO-Systeme dann in den gemeinsamen Ethernet-Backbone bringen. 

Das machen wir bereits heute ohne Ethernet-APL. Unser IS1+-Remote-IO-System für die Zone 1 sammelt alle Feldgeräte­daten inklusive Hart-Signale ein und kommuniziert beispielsweise über einen Profinet-S2-Ring mit dem Leitsystem. 

T. Rummel: Und auch an die 2-Draht-Feldbusse wird gedacht: Um die einfache Umstellung und den frühen Einsatz von Ethernet-APL zu ermöglichen, beabsichtigen wir, Funktiona­litäten unserer existierenden Produkte wie dem „pnGate PA“ in die APL-Switches zu integrieren. Damit würde eine schrittweise Umstellung der Feldgeräte in den Anlagen von Profibus PA auf Profinet möglich.  

Herr Rummel, der Softing-Geschäftsbereich IT Networks ist Mitglied im SPE Partner Network. SPE (Single Pair Ethernet) ist quasi das APL-Pendant im Bereich der Fabrikautomation. Inwieweit ist das Zusammenspiel beider Zwei-Draht-Ethernet-Technologien in welchen Applikationen sinnvoll und möglich?  

T. Rummel: Ethernet-APL basiert auf dem IEEE-SPE-Standard 10Base-T1L und realisiert zusätzlich eine eigene, Ex-fähige Stromversorgung der Switches und Feldgeräte. Deswegen sind Switches und Feldgeräte spezifisch für Ethernet-APL und können nicht in Standard-SPE-Umgebungen genutzt werden. Das Zusammenspiel von Ethernet-APL und Standard-SPE ­erfolgt über eigene Switches, die via Standard-Ethernet (100/1000Base-TX) in einem Ring oder Stern verschaltet sind. Dies ist sehr sinnvoll für hybride Anwendungen in denen Steue­rungsaufgaben der Fabrik- und Prozessautomatisierung zusammenkommen. Unser Geschäftsbereich IT Networks 
arbeitet neben dem Engagement in dem SPE Partner Netzwerk auch weltweit in Normungsgremien an Testlösungen für Single-Pair-Verkabelungen.

Die Vergangenheit hat gezeigt: Neue Kommunikationstechnologien benötigen in der Regel rund 15 Jahre, bis sie sich etabliert haben. Bis wann rechnen Sie mit einem ernstzunehmenden Ecosystem an APL-Produkten und dem breiten Einsatz der Technologie im Prozessumfeld?

T. Rummel: Ich gehe davon aus, dass bereits in fünf Jahren das Ecosystem für den breiten Einsatz von Ethernet-APL vorhanden sein wird. Die Installationsansätze von Ethernet-APL bieten den Vorteil, dass die Controller mit ihren bereits existierenden Ethernet-Anschaltungen und Kommunikationsprotokollen arbeiten können. Nur für die Switch-Infrastruktur und die Feldgeräte werden neue Produkte für die Unterstützung von Ethernet-APL benötigt.  

Softing Industrial wird auch die Verfügbarkeit von Ethernet-APL-Geräten durch Technologie-Integrationsprodukte wie das „commModule APL“ unterstützen, welches die Erstellung von Ethernet-APL-Feldgeräten vereinfachen wird.

A. Fritsch: Vielleicht geht das alles sogar schneller als wir es uns heute vorstellen können. Die Zeit ist reif für eine moderne Ethernet-Infrastruktur. Unser Verkauf an ethernetfähigen Remote-IO-Systemen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. In Verbindung mit Ethernet-APL und den dann verfügbaren intelligenten Feldgeräten sowie den neuen Lösungen zur Integration in Leitsysteme und Plant Asset Management Tools gibt es eigentlich keinen Grund, weiter mit konventioneller Technik zu arbeiten. 

www.r-stahl.com/de

https://industrial.softing.com/de

 

Inge Hübner

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