Bild von der HM-Pressekonferenz: VDMA-Präsident Karl Haeusgen und VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers (v.l.)

v. l.: VDMA-Präsident Karl Haeusgen und VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers auf der Pressekonferenz des Verbands am ersten Tag der Hannover Messe (Quelle: Hannover Messe/VDMA)

"Für 2022 war die Hoffnung auf ein Boomjahr groß", sagte VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers auf der Pressekonferenz. "Und trotz der erheblichen Belastungen rechnen wir für das laufende Jahr weiterhin mit einer Erholung im Maschinenbau - allerdings mit gebremstem Schwung." Voraussetzung dafür sei allerdings, dass es nicht zu einer abrupten Unterbrechung der Energieversorgung komme.

"Der Krieg in der Ukraine und die anhaltenden Lieferkettenprobleme, die insbesondere durch die Lockdowns in China immer wieder verschärft werden, sind natürlich eine erhebliche Belastung für unsere Industrie. Aber zugleich können wir immer noch auf ein sehr hohes Auftragspolster von aktuell 11,6 Monaten blicken. Deshalb rechnen wir für 2022 weiterhin mit einem realen Produktionswachstum, müssen unsere Prognose aber von bisher plus 4 % auf plus 1 % reduzieren", ergänzte VDMA-Präsident Karl Haeusgen. Für den Umsatz rechnen die VDMA-Volkswirte dieses Jahr mit einem nominalen Zuwachs von 8 %. Dies würde einen Höchststand von 239 Mrd. € bedeuten.

Zuversicht zieht die Maschinenbauindustrie trotz der herrschenden Risiken laut dem VDMA aus zahlreichen Geschäftschancen auf vielen wichtigen Absatzmärkten. "Hierzu zählen vor allem die nach wie vor wirkenden staatlichen Konjunktur- und Infrastrukturprogramme rund um den Globus sowie die wachsenden Anstrengungen vieler Staaten, den Klimawandel zu bekämpfen. Und es braucht vielerorts hohe Investitionen, um die Wertschöpfungs- und Lieferketten neu auszurichten. All dies geht nur mit modernsten Technologien aus dem Maschinen- und Anlagenbau", betonte K. Haeusgen.

Russland-Geschäfte langfristig geschädigt

Ein Risiko für die Maschinenbauindustrie bleibt laut dem Verband allerdings die russische Invasion in der Ukraine. Sie habe inzwischen zu einer Vollbremsung der Geschäfte mit der Region geführt. Dazu wird auf eine aktuelle Umfrage des VDMA unter Mitgliedsfirmen verwiesen, die auf dem russischen Markt mit Produktion, Vertrieb oder Service tätig sind: 95 % der knapp 300 an der Umfrage beteiligten Unternehmen meldeten, dass ihre Geschäftstätigkeit in Russland inzwischen spürbar eingeschränkt oder vollständig zum Erliegen gekommen ist. Hierbei spielen vor allem die gegenseitigen Sanktionen, Reise- und Transportbeschränkungen sowie die allgemeine Verunsicherung aufgrund des Kriegs die entscheidende Rolle. 

"Wie stark der Krieg alles verändert hat, sieht man daran, dass vier von fünf Firmen ihre Geschäftsaussichten mit Russland vor der Invasion noch als gut oder zufriedenstellend bezeichneten", erläuterte K. Haeusgen. Nun rechnen drei Viertel der Unternehmen damit, dass sich ihre Geschäfte mit Russland in den kommenden sechs Monaten entweder noch weiter verschlechtern oder sie diese ganz aufgeben werden. Weitere 20 % wagen angesichts des Kriegs überhaupt keine Prognose mehr. "Die Sanktionen gegen Russland wirken, und sie sind absolut richtig", betonte K. Haeusgen. "Der russische Markt ist für die Maschinenbaufirmen traditionell zwar ein Exportmarkt. Die Investitionen in Produktion und Montage vor Ort sind gemessen an der Größe des Markts vergleichsweise niedrig. Dennoch kann der Verlust dieses Markts für einzelne Firmen sehr schmerzhaft sein, es gibt oft langjährig enge Beziehungen, und die Betriebe fühlen sich auch zu Recht verpflichtet gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Russland. Selbst wenn es, wie wir alle hoffen, zu einem raschen Ende des Kriegs und der Wiederherstellung der territorialen Souveränität der Ukraine kommen sollte - es wird viele Jahre dauern, bis die Geschäfte mit Russland wieder auf einem echten Vertrauensverhältnis beruhen können", prognostizierte der VDMA-Präsident.

Wichtig für die Maschinenbauindustrie in dieser Situation ist laut dem Verband, dass Bundesregierung und EU eine klare Sanktionspolitik betreiben, auf die die Unternehmen sich einstellen können. Dabei müssten aber auch die Belange insbesondere der mittelständischen Unternehmen berücksichtigt werden, die für die überwiegende Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland und Europa stehen. "Es gibt aktuell einen sehr guten Austausch zwischen Industrie und Politik, das Wirtschaftsministerium und sein Minister agieren sehr professionell in Bezug auf den Ukraine-Krieg und seine Folgen. Robert Habeck zeigt Verständnis für die Industrie und macht eine verantwortungsvolle Politik", lobte VDMA-Präsident K. Haeusgen.

Schwächen sehe der Maschinen- und Anlagenbau dagegen in der Politik der "Ampel-Koalition" insgesamt. Als solche werden die zögerliche Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz und seiner Partei, sich von ihren bisherigen Russland-Vorstellungen zu lösen, aber auch die Rolle der FDP in der Regierung angegeben. "Wir erwarten von der FDP, dass sie die Ampel auf einem klar marktwirtschaftlichen Kurs hält. Das Hin und Her etwa bei der Emobility-Kaufprämie oder der Kampf für Tankgutscheine zeigen jedoch, dass die Partei dabei ist, ihren Kompass zu verlieren", bemängelte K. Haeusgen. Davon profitiere derzeit die Union, die überraschend schnell wieder mit breiter Brust im Bundestag auftrete und gute Oppositionspolitik mache. "Allerdings muss die Union gerade in der jetzigen angespannten geopolitischen Lage weiter Verantwortung tragen und darf nicht zur Blockade-Opposition werden", mahnte der VDMA-Präsident.

EU muss weiter Einigkeit zeigen 

Der Verband stellt heraus, dass die EU in ihrer Reaktion auf den russischen Angriffskrieg eine zuvor nicht unbedingt erwartbare Einigkeit gezeigt habe. "Die bislang verabschiedeten fünf Sanktionspakete hat die EU schnell und effizient verabschiedet. Das war nicht selbstverständlich. Die Einheit Europas ist eine der wenigen positiven Erkenntnisse des furchtbaren Kriegs in der Ukraine", sagte K. Haeusgen. Diese Einigkeit der EU werde von der Wirtschaft aber auch erwartet. Auf der anderen Seite sind die Maschinenbaubetriebe bereit, ihren Beitrag zu dieser gemeinsamen Reaktion zu leisten.

Wichtig für den Weg nach vorne ist nach Ansicht des VDMA jedoch, dass der russische Angriffskrieg die Debatte über den Klimaschutz auch in Europa nicht in den Hintergrund drängen darf. Das Maßnahmenpaket "Fit for 55" würde immer noch im Europäischen Parlament und im EU-Ministerrat verhandelt. "Hier sind jetzt dringend Fortschritte erforderlich - sowohl für den Klimaschutz, aber auch, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu reduzieren", forderte K. Haeusgen. Dabei sollte jetzt unbedingt ein wesentlich größerer Fokus auf eine Steigerung der Energieeffizienz gelegt werden. Die Technologien hierfür sind vorhanden und sie könnten kurzfristig die Abhängigkeiten Europas von Russland reduzieren. 

Die Kernaufgaben

Der Krieg in der Ukraine führt auch im Maschinen- und Anlagenbau allen Akteuren schmerzlich vor Augen, dass die Energieversorgung neu aufgestellt werden muss und es zusätzlicher Anstrengungen bedarf, um die Abhängigkeit von russischer Energie so rasch wie möglich zu beseitigen. Zugleich müsse die Bekämpfung des Klimawandels energisch vorangetrieben werden. "Klimaschutz und Versorgungssicherheit müssen zusammengedacht werden", betonte K. Haeusgen. "Dabei gibt es unterschiedliche Konzepte, um beide Ziele gemeinsam zu erreichen. Ein neues Strommarktdesign kann beides unterstützen. Hierbei ist die Refinanzierbarkeit von Energieanlagen ein wichtiger Schlüssel", sagte der VDMA-Präsident. 

Zusätzlich zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien gewinnt laut VDMA die Nutzung von grünem Wasserstoff für flexible Kraftwerke an Bedeutung. Die Kraftwerke würden in der Transformation die wichtige Aufgabe der Reserve-Kapazitäten übernehmen. „Sie fungieren gewissermaßen als Versicherung, wenn Wind und Sonne nicht in ausreichender Menge verfügbar sind“, erläuterte K. Haeusgen. "Der Maschinen- und Anlagenbau macht diesen Wandel erst möglich und hält die entsprechenden Technologien für die Transformation bereit."

Neben dem Thema Versorgungssicherheit hat die diesjährige Hannover Messe den Schwerpunkt "Industrial Transformation". Die produzierende Industrie sei mehr und mehr gefordert, über die Optimierung ihrer Anlagen und Prozesse hinaus auch intelligente Kommunikation und Software einzusetzen und ihre Daten entsprechend zu nutzen. "Als Basis hierfür entwickelt der VDMA als Vorreiter die Weltsprache der Produktion auf Basis von OPC UA. Dies erfolgt nicht nur für branchenspezifische Informationen, sondern auch für Informationen, die für den gesamten Maschinen- und Anlagenbau von Relevanz sind, wie Identifikation, Statusmonitoring oder - neu gestartet - Energy Monitoring", heißt es von Verbandsseite. "Der VDMA legt hiermit die Basis für die zukunftsfähige Produktion weltweit", betonte K. Haeusgen.

"Unter dem Label umati haben wir dazu eine einmalige globale Community ins Leben gerufen, die sich für den interoperablen Datenaustausch vom Shop-Floor bis in die Cloud einsetzt. Wir ermöglichen einen direkten branchenübergreifenden Austausch im Maschinen- und Anlagenbau und mit seinen Anwendern, Softwarelieferanten und anderen Akteuren", resümierte er.

 

VDMA (ih)

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