Bild 01: Phoenix Contact hat eine virtuelle Industriesteuerung für die Fabrikautomation entwickelt. (Quelle: Phoenix Contact)
Bereits 2023 informierte der Blomberger Automatisierungsspezialist die Besucherinnen und Besucher der Nürnberger Messe SPS über seine Aktivitäten im Hinblick auf eine virtuelle Steuerung. Diese ermöglicht eine zunehmende Konvergenz von IT und OT sowie eine höhere Flexibilität und Skalierbarkeit der Automatisierungslösungen. Die Virtual PLCnext Control des Unternehmens basiert auf den Funktionen der etablierten PLCnext Control und erweitert das Portfolio von PLCnext Technology. Dabei handelt es sich um das offene Ecosystem von Phoenix Contact [1] für aktuelle und zukünftige Automatisierungsanforderungen. Dieses erlaubt die Kombination von Automatisierungsaufgaben und IoT-Ansprüchen in einem Gerät. Abgesehen von der Steuerungs-Hardware umfasst das Ecosystem die modulare Software-Plattform PLCnext Engineer, den digitalen Marktplatz PLCnext Store, die informative PLCnext Community zum fachlichen Austausch sowie die Option einer systemischen Cloud-Integration (Bild 2).
Im Unterschied zur traditionellen SPS-Hardware gründet die virtuelle Steuerung auf einem OCI-Container (Open Container Initiative), sprich lediglich auf Software. Die virtuelle Steuerung ist Hardwareunabhängig. Das bedeutet, dass keine spezifische Hardware benötigt wird. Auf diese Weise lässt sich der Container auf Industrie-PC oder Edge-Devices installieren. Der Anwender kann optimal angepasste Prozesse erstellen und muss die Steuerung nicht von anderen Prozessen abgrenzen. Die virtuelle Steuerung bietet in der Automatisierung weiterhin die gewohnten Funktionen einer PLCnext Control, unterstützt also neben den gängigen Industrieprotokollen überdies Feldbussysteme – beispielsweise Profinet oder Modbus TCP/IP – zur Einbindung von Buskopplern und IO-Modulen in die Automatisierungslösung (Bild 3).
Ergänzung der klassischen SPS-Hardware
Die Virtual PLCnext Control zeichnet sich unter anderem durch ihre Flexibilität aus. Die Implementierung der Software-basierten Steuerung erfolgt entweder direkt auf der bereits laufenden Linux-Serverstruktur oder auf einem Industrie-PC. Parameter, wie die Profinet-Aktualisierungsrate oder die Anzahl der angekoppelten Profinet-Devices, lassen sich frei konfigurieren, um der jeweiligen Anwendung passgenau und kosteneffizient gerecht zu werden. Kann eine solche virtuelle Steuerung tatsächlich eine wichtige Produktionsanlage steuern, in der Zuverlässigkeit unabdingbar ist? Immerhin fungiert die klassische SPS-Hardware meist als „Herzstück“ der Maschine oder Anlage. Die Antwort: in jedem Fall. Die klassische Steuerung besteht im Grunde genommen ebenfalls aus (Industrie-)PC-Bauteilen. Die Software ist in diesem Fall direkt auf der SPS installiert und kann nicht wesentlich geändert werden.
Die Entkopplung von Hardware in Richtung Software muss keine Nachteile bei der Automatisierung nach sich ziehen. Das Herzstück der Maschine oder Anlage wird unter Umständen auf hochperformante Serverstrukturen in einem IT-Schrank verlagert. Die Hardware, Buskoppler und IO-Module bleiben weiterhin in der Produktivanlage. Das macht insbesondere in großen Anlagen oder bei unkonventionellen Applikationen Sinn, in denen Daten lokal gesammelt und verarbeitet werden sollen – Stichwort: Edge-Anwendungen. An dieser Stelle sei unbedingt erwähnt: Die virtuelle Steuerung ersetzt die klassische SPS-Hardware nicht. Vielmehr wird die virtuelle Steuerung die essenziellen Komponenten eines Automatisierungsportfolios ergänzen.
Optimale Plattform für Edge-Devices
Die virtuelle Steuerung ermöglicht allerdings weitaus mehr als nur den Ersatz einer klassischen SPS-Hardware und die flexible Nutzung auf großen Serverstrukturen. Das Thema Edge profitiert ebenso von ihr. Unter dem Begriff „Edge“ ist die Verwendung und Auswertung der lokalen Daten zu verstehen. Dieser Prozess wird bislang strikt von der Automatisierung getrennt – meist Hardware und Software seitig. Durch die Virtualisierung der Steuerungsfunktionen steht dem Zusammenspiel von IT und OT nichts mehr im Weg. Seitens der IT lässt sich das vertraute Betriebssystem einsetzen, um Applikationen zu filtern und zu analysieren oder Algorithmen über künstliche Intelligenz (KI) zu nutzen. Auf diese Weise wird ein Mehrwert aus den lokalen Daten generiert.
OT-seitig steht die virtuelle Steuerung aufgrund der Verwendung der Automatisierungs-Software PLCnext Engineer einer klassischen Steuerung in nichts nach. Damit arbeitet die zuständige Instanz – zum Beispiel die IT-Abteilung eines Unternehmens, die den PC administriert – auch zukünftig in der gewohnten Umgebung und eine Einarbeitung der Mitarbeitenden in eine neue Lösung ist nicht erforderlich. Maßgeschneiderte Lizenzmodelle und Mengengerüste erlauben den Einsatz der virtuellen Steuerung sowohl in Applikationen mit hohen Anforderungen ebenso wie in einfachen und kostensensitiven Projekten. Die Gefahr der Nutzung einer überdimensionierten SPS zu Beginn des Projekts, die alle möglichen zukünftigen Erweiterungen abdecken soll, besteht nicht (Bild 4).