
Retrofit und die neue EU-Maschinenverordnung – was gilt es für die Betreiber von Maschinen zu beachten? Jens Müller, Certified Machinery Safety Expert (CMSE) und zertifizierter Sachverständiger für Maschinensicherheit, gibt Antworten. (Quelle: Conrad/Laura Boysen Fotografie)
Herr Müller, Verordnung vs. Richtlinie: Was sind die wichtigsten Unterschiede?
J. Müller: Eine Richtlinie ist ein europäisches Regelwerk, das von den Mitgliedstaaten in nationale Gesetzgebung überführt werden muss. Im Gegensatz zu einer europäischen Verordnung haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, von den Anforderungen der europäischen Richtlinien abzuweichen. Vielmehr muss jedes Land innerhalb Europas den Richtlinientext in eigenen Gesetzestext umsetzen. Es gibt also diesbezüglich Spielraum. Anders verhält es sich mit der neuen EU-Maschinenverordnung. Sie ist ab dem Tag ihres Inkrafttretens verpflichtend für den europäischen Wirtschaftsraum. On top greift die Stichtagsregelung. Das heißt: Es gibt keinerlei Übergangsfristen. Die MVO tritt am 20. Januar 2027 umgehend in Kraft, von heute auf morgen braucht es also neue Strukturen oder es müssen neue Prozesse angewendet werden. Für betroffene Unternehmen heißt das, sich frühzeitig zu informieren und rechtzeitig zu planen.
Was sind die wesentlichen Neuerungen der MVO?
J. Müller: In erster Linie sehe ich hier die Abdeckung neuer Risiken im Zusammenhang mit digitalen Technologien, die Neubewertung von Hochrisiko-Maschinen und die Verringerung papierbasierter Dokumentationsanforderungen.
Für wen gilt die neue MVO?
J. Müller: Die neue MVO gilt generell branchenübergreifend für jeden, der eine Maschine, eine unvollständige Maschine oder ein Produkt wie beispielsweise eine Funktionsbaugruppe herstellt, die als Einheit in eine Maschine eingebaut werden kann. Modernisiert ein Betreiber seine Maschine im Rahmen von Wartungs- und Instandhaltungs- oder einer Retrofit-Maßnahme, um ihre Performance zu verbessern, wird auch dieser i.d.R. formell zum Hersteller und ist von den neuen Regelungen betroffen. Das ist vielen Maschinenbetreibern nicht bewusst.
Ein Betreiber wird durch einen Umbau seiner Maschine also ggf. zum Hersteller und ist damit in der MVO-Pflicht!?
J. Müller: So ist es. Und um ehrlich zu sein. Das prüft auch zunächst keiner. Bis zu dem Moment, wo etwas schief geht. Ein Startpunkt für die erste Orientierung, ob ich von der MVO-Pflicht betroffen bin, ist die EUR-Lex Datenbank, welche auch als EU Amtsblatt bekannt ist. Dort kann ich herausfinden, ob mein „Produkt“ in die Maschinenverordnung fällt und CE-Kennzeichnungspflichtig ist. Es handelt sich dabei allerdings um sehr komplexe Gesetzestexte. Gegebenenfalls macht es also schon hier Sinn, sich Unterstützung zu holen. Noch komplexer wird es, wenn ein KMU etwas Neues baut, weil zum Beispiel ein Ersatzteil so nicht mehr verfügbar ist oder eine Maschine nicht mehr die gewünschte Leistung bringt. Nehmen wir als Beispiel eine selbst gebaute Steuerung, die ich in meine Maschine integriere. Hier stellt sich die Frage: Erfüllt meine Maschine nach diesem Umbau oder Retrofit nach wie vor den CE-Konformitätsnachweis oder muss ich sie in diesem Fall neu prüfen lassen? Je nach Produkt und bei Spannungsbereichen innerhalb der Niederspannungsrichtlinie (2014/35/EU) wird die Niederspannungsrichtlinie, zumindest ihre Schutzziele, ebenfalls produktrelevant. Hier bewegen wir uns im Bereich der CE-Zertifizierung und genau diese ist ebenfalls ein Teil der neuen MVO. Man wird also ungewollt vom Betreiber zum Hersteller und das böse Erwachen findet erst dann statt, wenn die Berufsgenossenschaft vor der Tür steht. Dann nützen Argumente wie „Ich habe das für die Eigennutzung selbst gebaut und ich verkaufe das ja nicht“ leider nichts.
Was genau regelt die neue MVO in Bezug auf den Retrofit von Maschinen?
J. Müller: Die neue, EU-weit geltende Maschinenverordnung schafft mehr Klarheit, wann eine wesentliche Änderung an bestehenden Maschinen vorliegt und somit eine neue CE-Konformitätsbewertung durchgeführt werden muss. Das Ziel ist es, den Umbau an Maschinen gesetzeskonform durchführen zu können. Hier stehen die Unternehmen vor allem in ihrer Rolle als Arbeitgeber in der Pflicht: Liegt durch den Umbau eine neue Gefährdung vor? Erhöht sich durch die neue Gefährdung das vorhandene Risiko? Sind die vorhandenen Schutzmaßnahmen ausreichend?
Es geht also vor allem um die Arbeitssicherheit?
J. Müller: Ja. Denn als Arbeitgeber verpflichte ich mich, für die Sicherheit meiner Mitarbeitenden Sorge zu tragen. Denn auch in der Betriebssicherheitsverordnung steht: Ich darf meinen Mitarbeitenden nur Arbeitsmittel zur Verfügung stellen, die den aktuellen gültigen Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen entsprechen. Das ist schon eindeutig. Aber auch hier kommt nicht automatisch eine Aufsichtsperson seitens der Behörde in den Betrieb, die das überprüft. Viele kommen also erst ins Handeln, wenn etwas passiert, Gefahr im Verzug ist, die Maschine stillgelegt ist oder eine Verfügung auf dem Tisch liegt. Dann ist es aber meistens schon zu spät.
Geht es „nur“ um das Befolgen von Vorgaben?
J. Müller: Viele sagen zu mir: „Herr Müller, das ist doch alles überreguliert.“ Das ist aber nicht der Fall. Künftig hat eine Maschine, die aus einem anderen EU-Land nach Deutschland kommt, nicht nur in Bezug auf ihre CE-Kennzeichnung, sondern auch bezüglich des Aspekts Arbeitsschutz identische Anforderungen zu erfüllen. Als Arbeitgeber habe ich die Verantwortung, meine Mitarbeitenden so zu schützen, dass nicht nur ein paar Piktogramme auf der Maschine auf mögliche Gefahren hinweisen, sondern ich wirklich um Arbeitssicherheit bemüht bin. Das heißt: Es bleiben zumutbare Restrisiken, beispielsweise dass man sich an der Maschine den Finger einklemmen kann. Es muss aber ausgeschlossen werden, dass ich mit dem ganzen Körper hineinfallen kann. Wenn ich also den Deckel öffne, muss die Maschine ausgehen – um das mal ganz plastisch zu beschreiben. Plakativ formuliert: Wir brauchen ein Regelwerk, damit Mitarbeitende abends sicher zuhause bei ihren Familien ankommen. Das muss und sollte das wichtigste Interesse guter Arbeitgeber sein.
Welcher Aspekt ist mit Blick auf den Retrofit von Maschinen entscheidend in der neuen MVO?
J. Müller: Entscheidend ist der Begriff „wesentliche Veränderung“ im Artikel 18 der MVO. Dabei handelt es sich um eine „vom Hersteller nicht vorgesehene oder geplante physische oder digitale Veränderung einer Maschine oder eines dazugehörigen Produkts nach deren beziehungsweise dessen Inverkehrbringen oder Inbetriebnahme, die die Sicherheit der jeweiligen Maschine oder des dazugehörigen Produkts beeinträchtigt, indem eine neue Gefährdung entsteht oder sich ein bestehendes Risiko erhöht“.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
J. Müller: Stellen Sie sich vor, Sie haben im Rahmen eines Retrofits in die Maschine eingegriffen und beispielsweise eine berührungslose Schutzeinrichtung per Laserscanner oder Lichtgitter integriert, so dass die Maschine automatisch stoppt, wenn eine Person mit ihrem Körper den Strahl durchbricht. Dieses neue Sicherheitsprodukt muss ein Mal pro Jahr vom Betreiber gecheckt werden. Was viele nicht wissen: Selbst wenn ich durch die Integration neuer Komponenten die Maschine noch sicherer gemacht habe und die Technik funktioniert, habe ich eventuell so tief in die Sicherheitstechnik eingewirkt, dass die Maschinensicherheit generell neu bewertet werden muss, insbesondere auch unter Maßgabe der neuen MVO. Es hilft also nichts, wenn die berührungslose Schutzeinrichtung funktioniert. Ich muss mich auch um den formellen Ablauf, Nachweise, Stücklisten, geänderte E-Pläne, etc. kümmern. Doch das wissen die meisten Betreiber nicht und dieses To Do fällt hinten runter. Denn als Betreiber bin ich ja in der Regel kein Maschinenbauer, der sich mit dieser Ebene darunter auskennt.