Der neue Siemens-Campus für Entwicklung und Hightech-Fertigung in Erlangen wird zunächst im Industrial Metaverse virtuell erbaut (Quelle: Siemens)
Bei seinem geplanten Campus im Westen Erlangens setzt Siemens auf eine nachhaltige und zukunftsorientierte High-tech-Fertigung, zugehörige Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie die Öffnung des Standorts für ein Ökosystem von Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. Geplant ist dafür auch der Umbau bestehender Einrichtungen und eine Erweiterung des Areals. Die neuen Bauten für Forschung und Entwicklung, Produktion sowie Logistik sollen noch vor dem ersten Spatenstich in der virtuellen Welt geplant, simuliert und anschließend in der realen Welt umgesetzt werden. „Daraus ergibt sich eine exakte Replik in der virtuellen Welt, in der mit dem Einsatz des Industrial Metaverse das gesamte bestehende Fabrik-Layout optimiert und später in der realen Welt neu angeordnet wird“, verlautbarte Siemens in einer Meldung am 13. Juli.
Erfahrungen aus der Digital Native Factory
Was unter anderem in den deutschen Medien für Aufsehen sorgte, ist für Siemens nicht neu. So hat das Unternehmen in China bereits seine erste Digital Native Factory umgesetzt. Die dortige Siemens Numerical Control Ltd. (SNC) produziert CNC-Systeme, Antriebe sowie Motoren und liefert sie an nationale und internationale Kunden. Hier ist zudem das größte Forschungs-, Entwicklungs- und Fertigungszentrum von Siemens außerhalb Deutschlands angesiedelt. Seit seiner Gründung im Jahr 1996 ist SNC kontinuierlich gewachsen – verteilt auf drei Areale in der über 10 Mio. Einwohner zählenden Stadt Nanjing. Um den Anforderungen des schnell wachsenden Markts auch zukünftig gerecht werden zu können, sollten Forschung und Entwicklung, Produktion, Lager und Logistik zusammengeführt werden. „Während der Einrichtung des neuen 70 000 m2 großen Standorts musste SNC das Produktionsvolumen aufrechterhalten und die Kundennachfrage weiterhin bedienen. Aus den Überlegungen wie das funktionieren kann, entstand die Idee der ersten Digital Native Factory“, berichtet S. Krug, der damals als Leiter Lean Digital Excellence bei Siemens Projektleiter von „SNCnew“ war. „Der Anspruch bestand darin, ein digitales Unternehmen zu erschaffen.“
Ein internationales Team aus 150 Experten arbeitete gemeinsam an diesem Projekt. „Von der ersten Idee bis zum Produktionsstart wurde jeder Schritt digital unterstützt. So haben wir sukzessive ein detailliertes Modell der Fabriken aufgebaut“, sagt er. Dabei wurde der digitale Zwilling aus der Kombination von Fabrik-, Prozess- und Energiedaten sowie Gebäudeinformationen der vorhandenen Standorte erstellt. „Wir konnten die Dimensionen des Gebäudes, die Materialflüsse und die benötigten Medienversorgungen im virtuellen Raum viel genauer planen“, erklärt S. Krug.
Die Experten von Siemens Advanta nutzten Wertstromdaten bestehender SNC-Produktionslinien und bewerteten verschiedene Produktionsszenarien mit Tecnomatix Plant Simulation. Sie identifizierten Engpässe in der Produktion und optimierten Materialflüsse sowie Mitarbeiterwege. SNC-Mitarbeiter testeten den Produktionsaufbau per Virtual Reality. „Sie trugen eine VR-Brille und konnten buchstäblich durch die neue Fabrik laufen“, beschreibt S. Krug. Ihr Feedback wurde zur Feinabstimmung des endgültigen Entwurfs genutzt.
Durch die Optimierung des Ablaufs und des Layouts in der digitalen Welt verbesserte SNC nach eigenen Angaben die Auslastung der Maschinen, benötigte bei gleicher Leistung 40 % weniger Platz als die alte Fabrik und sparten die Investition in eine zweite Produktionslinie. Als weitere Optimierungszahlen gibt Siemens an: Im Vergleich zu den ursprünglichen Anlagen und Produktionslinien stieg die Produktivität um 20 %, die Volumenflexibilität um 30 % und die Geschwindigkeit des Materialnachschubs um 50 %. Darüber hinaus gewährleiste die Umsetzung von Cyber-Sicherheitsmaßnahmen ein Höchstmaß an Schutz.