Gemeinsam schneller zum Erfolg

Abgleich der realen Welt mit der digitalen Welt in der Electronics Factory in Erlangen

Abgleich der realen Welt mit der digitalen Welt in der Electronics Factory in Erlangen (Quelle: Siemens)

Aus der Kombination von KI-Algorithmen und hochqualitativen visuellen Renderings werden Trainingsdaten für reale Robotics-Anwendungen in der Fertigung generiert

Aus der Kombination von KI-Algorithmen und hochqualitativen visuellen Renderings werden Trainingsdaten für reale Robotics-Anwendungen in der Fertigung generiert (Quelle: Siemens)

All jenen, die anführen, dass Siemens als Großkonzern und langjähriger Digital-Enterprise-Experte in der Pool Position beim Thema Industrial Metaverse stehe, sagt S. Schlauß: „Vor fünf Jahren waren in unserem Werk erst zwei Roboter im Betrieb. Vor rund vier Jahren haben wir erstmals über Machine Learning nachgedacht. Man sollte also nicht die Geschwindigkeit unterschätzen, mit der solche Technologien Einzug halten werden. Und auch wir im Werk Erlangen müssen technologische Entscheidungen immer vor dem Hintergrund der Profitabilität treffen. Deshalb agieren wir mit Cost-Value-getriebenem Ansatz und nicht zum Selbstzweck.“

Als ein Beispiel führt er Roboter und den Griff in die Kiste an. „Um entsprechende Investitionen im Rahmen zu halten, setzen wir auf 2D-Sensorik an unseren Robotern – hoch automatisierte Systeme mit teuren Kameras lagen nicht in unserem Budget.“ Zu Beginn sei man dann mit der Frage gestartet: Wie lässt sich über Digitalisierung ein Roboter mit menschenähnlichen Fähigkeiten ausstatten? Diese Frage haben die Experten bereits beantwortet. „Nun geht es darum, herausfordernde Bedingungen zu lösen, zum Beispiel glänzende Oberflächen mit fotorealistischen Daten zu trainieren“, berichtet S. Schlauß. Dabei setzen die Experten anstelle von realen Bildern auf synthetische Daten, mit denen die KI trainiert wird. „Die virtuelle Welt bietet den Vorteil, dass sich viele unterschiedliche Szenarien schnell abbilden lassen und damit der Roboter schnell trainiert werden kann“, so S. Schlauß. Der erwähnte Aspekt des Fotorealismus spielt hier unter anderem beim Thema spiegelnde Oberflächen seine Vorteile aus. Der pysikbasierte Ansatz hingegen dann, wenn es darum geht, die Teile in unterschiedlichen Formen und Lagepositionen in einer Kiste zu erfassen.

An diesem Beispiel lässt sich zudem der Nutzen der Zusammenarbeit mit Technologiepartnern ableiten: Siemens bringt beispielsweise die physikbasierte Simulation als Kompetenz ein und Nvidia fotorealistische Rendering-Fähigkeiten. „Wir arbeiten auch mit AWS bzgl. Cloud-Technologien oder Microsoft beim Thema kollaboratives Arbeiten zusammen. Die Idee ist, verschiedene Partner mit ihren Stärken zusammenzubringen“, informiert S. Schlauß. „Die extrem hohe Veränderungsgeschwindigkeit bedingt, dass man Partner und beispielsweise ein Ökosystem benötigt, um möglichst schnell neue Technologien in die bestehende Landschaft integrieren zu können“, spielt S. Krug auf die Business-Plattform Siemens Xcelerator an. „Diese sehen wir als riesige Chance und als Enabler, um die Digitalisierung noch schneller in den Markt zu bringen.“

Die richtige Herangehensweise

Aus der eigenen Erfahrung raten die beiden Experten all jenen, die ebenfalls den Weg ins Industrial Metaverse gehen möchten, das Thema potenzialgetrieben anzugehen. „Es ist wenig sinnvoll, über den Aufbau eines digitalen Zwillings oder den Einsatz von KI im Allgemeinen in einem Werk nachzudenken“, gibt S. Krug an. Stattdessen sollten Anwender ihren größten Paint Point auswählen und überlegen, mit welchen Technologien hier Abhilfe geschaffen werden kann. Anschließend gilt es, die Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass die neuen Technologien Mehrwert bringen.“

Doch wie soll man Menschen von Metaversen überzeugen, von denen der deutlich größte Teil noch nie Berührungspunkte damit hatte? „Natürlich sind Technologiekenntnisse wichtig: Mitarbeiter müssen so viel von der Technologie verstehen, dass sie wissen, wie sie sie in ihrem konkreten Anliegen unterstützen kann. Hier spielen Kompetenzmanagement, Aus- und Weiterbildung sowie das ,Hürden- und Ängstenehmen‘ eine wichtige Rolle“, lautet die Herangehensweise von S. Krug. Er bekräftigt: „Das bedeutet nicht, dass ein Mitarbeiter wissen muss, wie eine KI implementiert wird. Er muss aber darüber im Bilde sein, welche Möglichkeiten sie bietet. Dieses Kompetenzprofil bauen wir gezielt in unserem Werk auf und bringen damit Domänen- und Technologiewissen zusammen.“ Er ist zudem davon überzeugt, dass die Industrial-Metaverse-Akzeptanz keine Frage der Länderherkunft ist, sondern der Unternehmenskultur. „Man muss sich von starren Projektplänen lösen und neue Methoden des Projektmanagements wie Agilität, Toleranz Rückschlägen gegenüber oder Experimentieren öffnen. Wenn dies gut in der Mannschaft verankert ist, funktioniert auch die Umsetzung des Industrial Metaverse gut.“ Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Eine gute Mischung würde sich aus der deutschen Gründlichkeit und der asiatischen Agilität ergeben.“

Einfach mal machen

Die genannten Einsparungen und Möglichkeiten rund um die Digital Native Factory sprechen für das Industrial Metaverse. Von einem Run auf Anwenderseite zu sprechen, wäre allerdings noch zu früh. Wie erklären sich die Experten die Zurückhaltung und was raten sie?

„Wir Menschen tun uns mit unserer linearen Denkweise schwer, die schnellen Technologiesprünge zu erfassen. Deshalb können wir auch nur schwer ermessen, wie schnell sich aktuell neue Technologien – zum Beispiel das Industrial Metaverse –weiter entwickeln werden“, sagt S. Schlauß. Zum Vergleich zieht er das Internet heran. „Als die erste Website live gegangen ist, konnte sich noch niemand vorstellen, welche Dimensionen das Internet annehmen wird und welche Möglichkeiten es eröffnet. Ähnlich betrachten wir das Thema Industrial Metaverse: Jeder Tag, an dem wir uns mehr damit beschäftigen, fallen uns weitere Nutzenpotenziale ein.“ Allen Zögerern raten die beiden deshalb: „Keine Angst vorm Scheitern haben, sondern einfach mal loslegen. Manchmal ist der virtuelle Zaun größer als der reale. Think big, start small.“

Inge Hübner
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