Interview: Hans Beckhoff, Daniel Siegenbrink

Geschäftsführer Hans Beckhoff

Bild 02: Geschäftsführer Hans Beckhoff: „Unser MX-System hat das Potenzial, um den gesamten Schaltschrank- und Maschinenbau zu revolutionieren“ (Quelle: Beckhoff)

Was ist unter der neuen Produktreihe zu verstehen?

H. Beckhoff: Wie erwähnt kennen wir den Schaltschrankbau aus der Praxis sehr genau. Diese Erfahrung haben wir mit dem Know-how aus unseren anderen Produkt bereichen, d. h. bei IPC, IO- und Kommunikationstechnologie, An- triebstechnik und Software, kombiniert. Ergebnis ist ein einheitlicher Automatisierungsbaukasten, der den klassischen Schaltschrank mit seiner Verdrahtung vollständig durch normierte Module ersetzt. Dabei werden alle im Schaltschrank bzw. an der Maschine benötigten Gewerke und Funktionen in einem System  dem MX-System zusammengefasst.

D. Siegenbrink: Jeder Schaltschrank ist vom Prinzip her gleich aufgebaut. Es gibt immer eine Energie einspeisung, einen Hauptschalter, Netzteile, die Steuerung inklusive IO-Ebene und Feldbus sowie die Antriebstechnik. Dazu kommt die Energieverteilung, d. h. das Schalten von 400 V bzw. der Direktstart von Motoren oder die Versorgung von Fremd aggregaten. Diese immer wieder auftauchenden Blöcke haben wir normiert und mit dem MX-System in einem einheitlichen Konzept umgesetzt.

Wie ist das MX-System im Detail aufgebaut?

H. Beckhoff: Grundvoraussetzung ist eine äußerst robuste mechanische Lösung in Schutzart IP67, um alle Automatisierungsmodule praxisgerecht und stabil direkt an der Maschine unterbringen zu können. Wir haben hierfür ein sogenanntes Baseplate-Konzept realisiert. Dazu gehört zunächst die aus einem mechanisch sehr stabilen Aluminiumprofil bestehende Baseplate, die alle erforderlichen Signale, Leistungsspannungen und Kommunikations kanäle integriert. In dieser Baseplate sind verschiedene Steckplätze – Data- und Power-Steckplätze – definiert, auf die sich Funktionsmodule aufstecken lassen. Das ist die Basis für ein modulares Schaltschranksystem (Bild 4), das sich aufgrund der robusten Baseplate und Modulausführung direkt und ohne weitere Schutzgehäuse an der Maschine montieren lässt. Ein zentraler, manuell aufgebauter Schaltschrank ist somit nicht mehr notwendig.

Wie lässt sich damit eine Schaltschrankfunktion konkret umsetzen?

H. Beckhoff: Mit dem entsprechenden Funktionsmodul kann man zum Beispiel einen Antrieb einfach auf einen Steckplatz der Baseplate aufstecken und mit robusten unverlierbaren Inbus-Schrauben festschrauben. Er wird dann automatisch mit Ethercat, also der Kommunikation, mit den entsprechenden Steuerspannungen und mit den Leistungsspannungen versorgt. Mehr braucht es nicht. Eine Minute und der Antrieb ist komplett eingebaut. Für den Motoranschluss steht auf der Modulvorderseite natürlich unsere bewährte One Cable Technology (OCT) zur Verfügung. Analog dazu sind die anderen Module aufgebaut, zum Beispiel für die elektrische Einspeisung ein UL-konformes Einspeisemodul mit Hauptschalter und integriertem Netzteil. Insgesamt bilden wir mit dem MX-System die gesamte Automatisierungswelt ab, von digitalen, analogen und Safety-IO über Netzteile für eine 600-V-Antriebszwischenkreisspannung und andere Leistungsendstufen bis hin zu steckbaren Industrie-PC. Es ist wirklich verblüffend, wie schnell ein Schaltschrank mit dem MX-System aufgebaut werden kann. Individuelle kundenspezifische Sonderfunktionen, die nicht in unserem Standard-Baukasten abgedeckt werden, werden vom MX-System ebenfalls unterstützt. Über Leergehäuse mit entsprechender MX-System-Schnittstelle oder über separate, per Ethercat angebundene Schaltkästen lassen sich beliebige Funktionen integrieren.

D. Siegenbrink: Wir decken tatsächlich alle an der Maschine benötigten Funktionen ab. Die Hot-Swap-fähigen Module gliedern sich in die Produktbereiche PC, IO und Motion sowie die neuen Segmente Relais und System. Dazu zählen auch einige neue Produkte wie Frequenzumrichter, Relais, Schütze, Hybrid-Motorstarter und Leistungsabgänge.

H. Beckhoff: Wir profitieren natürlich vom breiten Spektrum unserer PC- und Ethercat-basierten Steuerungs und Antriebstechnik, indem wir auf bewährte Technologien zurückgreifen können. Dennoch haben wir für das MX System das komplette Beckhoff-Produktspektrum quasi neu erfunden und sowohl unter Leistungs- wie auch unter Steuerungsgesichtspunkten steckbar gestaltet. Um dabei zielgerichtet mit Blick auf die praktischen Anwendungen unserer Kunden zu entwickeln, arbeiten wir von Beginn an, d. h. seit mehr als drei Jahren, mit diversen Leitkunden zusammen. Das hat uns bei der Systemspezifikation sehr geholfen.

Apropos Spezifikation, welches sind die Rahmenparameter für den Einsatz des MX-Systems?

H. Beckhoff: Das MX-System ist für maximal 63 A Anschlussleistung sowie für die typischen Spannungsbereiche 110 V bis 230 V einphasig und 380 V bis 530 V dreiphasig ausgelegt. Der zulässige Temperaturbereich reicht von 0 °C bis 50 °C bei rein passiver Kühlung.

D. Siegenbrink: Für die einzelnen Steckplätze gelten folgende Parameter: Der Data-Steckplatz bietet Ethercat Kommunikation sowie DC 24 V bzw. 48 V und bis 20 A, ein Power-Steckplatz stellt AC 400 V und DC 600 V bei maximal 35 A zur Verfügung. Durch die parallele Nutzung von zwei Power-Steckplätzen können wir auch bis maximal 63 A für ein Modul zur Verfügung stellen. Ein weiterer wichtiger Aspekt für den praktischen Einsatz sind die Zertifizierungen. Das MX-System ist ein Schaltschrankersatz, der die relevanten Schaltschranknormen einhält. Aber nicht nur das. Im Gegensatz zum konventionellen Schaltschrank bietet es eine einheitliche Lösung für CE, UL CSA und IEC. Der Maschinenbauer kann also tatsächlich auf Lager fertigen und sich erst am Tag der Auslieferung entscheiden, in welche Region weltweit er die Maschine verschickt.

Welche weiteren Vorteile ergeben sich für den Maschinen und Anlagenbauer?

H. Beckhoff: Die Vorzüge des neuen Modulsystems zeigen sich bereits in der Konstruktionsphase. Denn die Komplexität eines Schaltschranks mit allen Einzeldrahtverbindungen, Einzeladerbeschriftungen und dem konstruktiven Aufwand für den späteren Schaltschrankbau reduziert sich drastisch. Mit dem MX-System müssen nur noch Module auf eine Platte gesteckt werden, sozusagen als elektrische Schaltschrankinsel ähnlich einer pneumatischen Ventilinsel. Das führt nach Aussage einiger Kunden, denen wir das System bereits vorgestellt haben, dazu, dass sich zum Beispiel 300 Seiten Schaltplan auf 30 Seiten reduzieren und der zugehörige Arbeitsaufwand ebenfalls um 90 % geringer ist. Das sind immense Einsparungen, die sich auch in geringeren Kosten niederschlagen sollten.

D. Siegenbrink: Unsere Kunden denken heute in kompakten Maschinenmodulen, haben aber immer auch den Schaltschrank sozusagen als übergeordnete Einheit zu berücksichtigen. Zum einen erfordert das viel Verkabelungsarbeit und zum anderen lässt sich auf diese Weise die Modularität in den Maschinenkonzepten nicht vollständig abbilden. Mit unserem System ist das hingegen problemlos möglich, denn der Schaltschrank ist kein großer monolithischer Block mehr, sondern er kann modular an der Maschine verteilt werden.

H. Beckhoff: Entscheidend ist sicher auch der minimierte Platzbedarf. Der Maschinenbauer kann das kompakte MX- System direkt am Maschinenkörper anzierten Schaltschrank mit eigenen Leitungswegen verzichten. Dadurch vereinfacht sich die Installation deutlich, insbesondere in Verbindung mit vorkonfektionierten Kabeln. Zumal die steckbare Installation nicht mehr unbedingt ein Elektriker vornehmen muss, sondern auch ein Mechaniker mit übernehmen kann.

Was bedeutet das MX-System für den Schaltschrankbau an sich?

D. Siegenbrink: Der Schaltschrankbau ist heute meist ein komplizierter Vorgang mit sehr vielen Komponenten und Prozessabläufen. Hinzu kommen eine gewisse Fehleranfälligkeit und der hohe Platzbedarf. Hier hilft, dass mit unserer steckbaren Technologie nicht nur der Schaltplan, sondern auch der Verdrahtungsaufwand geringer wird. Analysen haben außerdem gezeigt, dass teilweise weniger als 10 % der Bauteile erforderlich sind. Es entfällt also viel Aufwand im Bereich Schaltschrankbau.

H. Beckhoff: Ähnlich wie die Maschinenplanung profitiert auch der Schaltschrankbau vom minimierten Aufwand. Wir schätzen, dass sich zum Beispiel ein zuvor 24-stündiger Schaltschrankaufbau auf nur noch rund eine Stunde Modulmontage reduzieren lässt. Zudem wird sich auch die Schaltschrankqualität verbessern. Schließlich wird die komplexe Einzelverdrahtung durch ein einfaches, fehlerfreies Zusammenstecken ersetzt. Ein weiterer Kostenspareffekt kommt hinzu, da wir die bisherige manuelle Einzelfertigung in die industrielle Vorfertigung der Module verlegt haben. Zudem werden viele Maschinenbauer ihre Logistik vereinfachen können, da sich mit dieser einfach montierbaren Technologie auf einem externen Schaltschrankbau verzichten lässt.               

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