Bild von ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel

„Das Zukunftsbild behalten wir allerdings bei: Die Energieversorgung der Zukunft ist elektrisch und basiert im Wesentlichen auf Strom aus erneuerbaren Quellen, vor allem Sonne und Wind“, sagt ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel. (Quelle: Alexander Grüber)

„Zunächst einmal strapazieren wir den Begriff All Electric ­Society heute gar nicht mehr so gerne, weil sich darin nicht alle involvierten Branchen wiederfinden“, mit diesen Worten eröffnet Dr. G. Kegel das Interview. „Das Zukunftsbild behalten wir allerdings bei: Die Energieversorgung der Zukunft ist elektrisch und basiert im Wesentlichen auf Strom aus er­neuerbaren Quellen, vor allem Sonne und Wind.“ Der grüne Strom soll dann zu Wasserstoff, E-Fuels oder Ähnlichem ­gewandelt werden. Auf diese Weise werden auch nicht direkt elektrifizierbare Bereiche indirekt elektrifiziert, zum Beispiel die Stahlproduktion. „Vermeiden wir Verbrennungsprozesse, sinken die CO2-Emissionen und die Energieeffizienz steigt“, verdeutlicht der ZVEI-Präsident. Durch die Sektorenkopplung von Industrie, Wärme und Verkehr lassen sich weitere Effi­zienzgewinne erzielen. 

Dr. G. Kegel verweist darauf: „Deutschland war nie energie­autonom – wir haben schon immer Öl und Gas eingekauft. Und Fakt ist auch, dass die Investitionen, die wir in den weltweiten Wasserstoffmarkt tätigen müssen, sehr hoch sind. Hinzu kommt: Die Bedarfe, beispielsweise der deutschen Stahlindustrie, sind immens. Ebenso müssen große Mengen an Dieselkraftstoff durch E-Fuels ersetzt werden. Bei aktuellem Stand würden daraus Preise resultieren, aufgrund derer niemand mehr Auto fahren wollte“, gibt er zu bedenken. Grüner Strom müsse also für alle Verbraucher zu einem wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Preis verfügbar sein, damit der Wandel hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft gelingt.  

Der ZVEI-Präsident berichtet von einer Vielzahl an Forschungsprojekten, die sich mit dieser Thematik befassen. „Aktuell bleibt uns nichts anderes übrig, als auszuprobieren. Das ist die berühmte Technologieoffenheit – wir wissen noch nicht, was die beste Lösung sein wird. Und diesen technologieoffenen Ansatz verfolgen wir auch mit unserem Zielbild der All Electric Society.“ Was heute allerdings schon fest definiert ist, sind die treibenden Faktoren Elektrifizierung, Automatisierung und ­Digitalisierung. „Und mit diesen drei Themen müssen wir vor allem eins vorantreiben: die Energieeffizienz“, bringt es Dr. G. Kegel auf den Punkt. 

Steigerung der Energieeffizienz ist Gebot der Stunde

Im Weiteren gibt er an, dass der Primärenergiebedarf Deutschlands bei jährlich insgesamt rund 3.200 TWh liege. „Wir tun immer so, als wäre das Aufbauen von Windrädern das Entscheidende. Das ist aber nicht so. Denn: Wir können gar nicht so viele Windräder bauen, wie wir benötigen würden, wenn wir unsere aktuelle Energieeffizienz beibehalten“, mahnt der ZVEI-Präsident und führt fort: „Selbst wenn wir die Erneuerbaren hierzulande weiter ausbauen, werden wir mit ihnen nur einen Bedarf von etwa 1.200 TWh abdecken können. Die restliche erforderliche Energiemenge müssten wir zukaufen – was allerdings nicht vorstellbar ist. Ergo müssen wir den Bedarf reduzieren – und zwar, ohne unseren Wohlstand zu schmälern. Und das bedeutet: Wir müssen in die ­Effizienz investieren“, lautet seine Herleitung. Als kon­kretes Ziel bis 2045 nennt Dr. G. Kegel, die Effizienz so weit zu ­steigern, dass wir mit jährlich insgesamt 2.000 TWh auskommen und hier seien noch hohe Effizienzsprünge not­wendig. 

Darüber hinaus weist er darauf hin, dass Deutschland aktuell circa 50 % der elektrischen Energien aus erneuerbaren Quellen gewinne. „Das ist allerdings nur der elektrische Strom, der lediglich ein Viertel des Endenergieverbrauchs ausmacht. In Summe wird bislang trotz aller Anstrengungen somit erst ein Achtel des Gesamtenergieverbrauchs mit Strom aus erneuerbaren Energien gedeckt.“ Der Lösungsansatz laute deshalb: ausbauen, elektrifizieren und die Energieeffizienz erhöhen. „Und das geht nur über Automatisierung und über Digitalisierung. Ansonsten werden wir unseren Wohlstand verzehren“, gibt er zu bedenken.    

Megatrends treiben Wachstum an

Die Megatrends Elektrifizierung, Automatisierung, Digitalisierung sollen auch Wachstumsmotoren für die Elektrotechnik sowie große Teile des Maschinenbaus sein. Aus diesem Grund sieht Dr. G. Kegel die aktuelle Konjunkturschwäche als eine temporäre Angelegenheit, die sich wieder nivellieren wird. „Natürlich wird das alles kein Eldorado werden, wie es der eine oder andere Politiker gerne fabuliert. Aber es wird zumindest für die Elektrotechnik Wachstum generieren und das ist für uns eine überaus positive Story“, sagt er. 

 Insgesamt geht der ZVEI davon aus, dass sich die Elektro- und Digitalindustrie in den nächsten Monaten wieder erholen und auf die alte Wachstumsspur zurückkehren wird. Das gilt auch für die Teilbranche Automation. „Viele Automatisierer hatten 2022 ihr All Time High erreicht und haben 2023 dann eine Seitwärtsbewegung gemacht. Kunden hatten nach den Lieferengpässen ihre Lager bis an den Rand gefüllt. Nun muss der Bestand erst einmal abgebaut werden, bevor neue Aufträge reinkommen“, lautet die Einschätzung von Dr. G. Kegel. Er rechnet damit, dass bis Mitte dieses Jahres die Auftragslage wieder anziehen wird. „Das heißt allerdings noch nicht, dass dadurch auch die Konjunktur wieder anspringt. Ich bin fest ­davon überzeugt, dass 2025 wieder ein Wachstumsjahr werden wird. Das geht gar nicht anders. Es sei denn, wir leugnen die Megatrends.“ Dann müsste man sich den Themen Elektri­fizierung, Automatisierung und Digitalisierung und somit dem Streben nach Energieeffizienz verweigern. „Aber ein solches Verhalten wäre gesellschaftlich nicht durchsetzbar. Zumal es rechtlich im Pariser-Abkommen verankert ist und Deutschland sich dazu verpflichtet hat.“

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