Interview mit Ulrich Wallenhorst und Klaus Leuchs

Abbild Energieübertragung

Bild 3: Energieübertragung (Quelle: Leuchs)

Was sind aus Ihrer Sicht die herausragenden Eigenschaften Ihrer Lösungen und was sind die Hauptvorteile im Vergleich zu konventionellen kontaktbehafteten Verbindungen?

U. Wallenhorst: Zunächst die größere Flexibilität, sprich Bewegungsfreiheit. Denn anders als Steckverbinder, Kabelschleppen und Spiralkabel oder Schleifringe sind die Koppler nicht mechanisch verbunden. Deshalb müssen sie nicht exakt zentriert sein, sondern können sich auch leicht versetzt gegenüberstehen oder in einem Winkel von bis zu 30°. Ferner lassen sich sogenannte On-the-Fly-Verbindungen realisieren, bei denen ein Koppler sta­tionär und andere mobil installiert sind und die Verbindung immer durch das gerade gegenüberliegende Paar hergestellt wird. Außerdem sind Rotationsbewegungen von mehr als 360° ausführbar – Kabelschleppen erreichen meist nur 270° – sowie Daten und Energie auch durch Luft, Flüssigkeiten und Wände übertragbar.

Der zweite Aspekt ist die extrem hohe Zuverlässigkeit und die da­raus resultierende Senkung der Total Cost of Ownership. Denn die kontaktlosen Verbindungen sind sowohl im verbundenen als auch im unverbundenen Zustand dicht, das heißt, es kommt zu keinen Problemen, die zu einer Unterbrechung der Verbindung führen können. Ebenso spielen Vibrationen keine Rolle, und zwar sowohl hinsichtlich der Verbindung selbst als auch mit Blick auf die Produktionsprozesse, die sozusagen entkoppelt sind. Zudem sind natürliche Probleme, wie limitierte Steckzyklen von Steckverbindern oder Bruch bzw. Verschleiß von Kabeln, für kontaktlose Lösungen nicht mehr relevant, da keine mechanische Verbindung besteht.

K. Leuchs: Eine Energieübertragung findet in der industriellen Automatisierung in der Regel mit Steckverbindern statt. Bei dieser ­„herkömmlichen“ Lösung sind abgebrannte, verbogene oder verschmutzte Kontakte ein häufiger Grund für zeit- und kostenintensive Produktionsausfälle. Das gilt umso mehr für Applikationen, in denen häufige Steckzyklen erforderlich sind. Dazu zählt beispielsweise der häufige Werkzeugwechsel bei Industrierobotern. Da es Freecon  Contactless erlaubt, Energie über einen Luftspalt zu übertragen, arbeitet es gänzlich verschleißfrei und besonders effizient. Gegenüber vergleichbaren Lösungen am Markt werden die doppelte Leistungsdichte und ein deutlich höherer Wirkungsgrad erzielt. Anlagen, die mit unserer Lösung ausgestattet sind, laufen länger fehlerfrei und damit ohne kostspielige Unterbrechung für Wartung, Reparatur oder Austausch. Bereits ein einmaliger Produktionsausfall aufgrund von Verschleiß bei Anlagen mit konventionellen Steckverbindern kostet deutlich mehr als das Freecon-  Contactless-System. Die höhere Anlagenverfügbarkeit verbunden mit den bei der Nutzung dieses Systems reduzierten Serviceeinsätzen sowie der nahezu komplette Entfall von Wartungskosten verkürzen die Amortisationszeit deutlich. Die beliebigen Annäherungsoptionen der Primär- und Sekundärseite erlauben zudem neue Konstruktionen. Sie vereinfachen den Bau von Industrieanlagen, senken somit Kosten und optimieren Produk­tions­prozesse.  

Für welche Einsatzgebiete ist Ihr System prädestiniert und wo stößt es an seine Grenzen?

K. Leuchs: Die Einsatzgebiete sind vielfältig. Grundsätzlich ist das System geeignet bzw. sinnvoll für Applikationen, in denen heute Steckverbindungen häufig gesteckt und gelöst werden. Zum Beispiel das bereits erwähnte Wechselwerkzeug an einem Roboter: Hier werden mehrere hundert bis tausend Werkzeugwechsel pro Tag durchgeführt. Die kontaktierende Verbindung muss dementsprechend oft gesteckt und gelöst werden, was zu einem hohen Verschleiß der Kontakte und Folgeerscheinungen wie Kontaktabbrand führt. Daraus resultiert ein Qualitätsverlust in der Produktion. Um diesem vorzubeugen, entstehen durch den regelmäßigen Wartungsaufwand hohe Kosten. Weitere Applikationen sind beispielsweise Rundschalttische, fahrerlose Transportsysteme oder auch Applikationen, die heute mit einem Schleifring arbeiten. Alle konventionellen Lösungen sind wartungsintensiv und damit entsprechend teuer im Betrieb.

Darüber hinaus sind ganz neue Anwendungsfelder denkbar, da eine bisher manuell zu steckende Verbindung nun automatisiert hergestellt werden kann. Freecon Contactless bietet dazu eine hohe Flexibilität durch beliebige Annäherungsoptionen. Die Sekundärseite kann, im Gegensatz zum Steckverbinder, aus beliebigen Richtungen zur Primärseite herangeführt werden und zusätzlich auch noch rotieren. Diese automatisierte Verbindung unterstützen wir zusätzlich mit der Option, die Energieübertragung zum Beispiel mittels einer SPS zu steuern.

U. Wallenhorst: Die erste Standardversion, die wir jetzt auf den Markt gebracht haben, ist zur Anbindung von Sensorik und somit für die Übertragung von Schaltsignalen und einer Ausgangsleistung von 12 W entwickelt worden. Ihre Vorteile kann die kontaktlose Verbindungstechnologie vor allem in Anwendungen ausspielen, in denen sich Sensoren auf beweglichen Maschinenteilen befinden. Das Einsatzszenario reicht von sich bewegenden Werkstückhaltern über elektrische Greifer für Pick-and-place-Applikationen bis hin zu Werkzeugwechslern von Robotern.
Grenzen gibt es natürlich bei jeder Technologie. So können bisher mit der Standardversion weder Feldbus- noch Ethernet-Daten übertragen werden – wobei kundenspezifische Lösungen schon heute über binäre Schaltsignale hi­naus­gehen. Auch für extrem hohe Temperaturen ist diese Version, die für bis zu 55 °C spezifiziert ist, nicht geeignet. In Zukunft lässt sich mit speziellen Ausführungen sicherlich mehr bewerkstelligen. Wenn es jedoch in hohe Temperaturbereiche  über 100 °C bis 150 °C geht, wird es schwierig.

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