Das erste Weidmüller-Produktionsgebäude nach dem Neustart in Detmold 1948 (links) und das neue Elektronikwerk in Detmold (rechts), eröffnet im Jubiläumsjahr 2025 – ein Bekenntnis zum Hauptstandort und eine langfristige Stärkung der eigenen Elektronikkompetenz

Das erste Weidmüller-Produktionsgebäude nach dem Neustart in Detmold 1948 (links) und das neue Elektronikwerk in Detmold (rechts), eröffnet im Jubiläumsjahr 2025 – ein Bekenntnis zum Hauptstandort und eine langfristige Stärkung der eigenen Elektronikkompetenz (Quelle: Weidmüller)

„Am Anfang einer Unternehmung steht zumeist der Pioniergedanke. Dieser ist bei Weidmüller seit 1850 fest verankert.“ Mit diesen Worten eröffnet Dr. T. Berger das Gespräch. „Für uns bedeutet dieser Pioniergedanke, dass wir uns als Unternehmen über 175 Jahre durch konsequente Kundenorientierung und immer mit dem Willen, das Geschäft unserer Kunden besser zu machen, stetig nach vorne entwickelt haben.“ Dr. T. Berger ist seit 20 Jahren in unterschiedlichen Positionen bei Weidmüller tätig. Er verweist auf den Teamgedanken und: „Weidmüller ist bis heute ein Familienunternehmen. Das bedeutet Bodenständigkeit und Agieren auf Augenhöhe mit den Kunden.“ Neben dem Gespür für seine Kunden bezeichnet er das Gespür für die Trends von morgen als weitere herausragende Eigenschaft von Weidmüller. „Das war am Anfang die Elektrifizierung – als es von der Verbindungstechnik in der Textilindustrie zur Verbindungstechnik in der Elektrik und später dann zur Automatisierung ging“, erläutert Dr. T. Berger. Als jüngeren Trend bezeichnet er die Verbindung von Automatisierung und Digitalisierung bis hin zum Machine Learning.

Die Meilensteine

In der 175-jährigen Geschichte gab es zahlreiche technologische Weichenstellungen. „Unsere Wurzeln reichen bis in die Produktion von Textilware – also Uniformen – und hier speziell innovative Druckknöpfe zurück“, nennt Dr. T. Berger als ersten Meilenstein, der 1899 gesetzt wurde. „Diese Innovation hat uns in Richtung Metallkompetenz geführt.“ Dabei hätten auch damals schon zwei Attribute die Produkte ausgezeichnet: robust und langlebig. 1948 wurde die erste kunststoffisolierte Reihenklemme auf den Markt gebracht. „Und damit eng verbunden ist das erste große Reihenklemmenprogramm, die sogenannte SAK-Serie, die wir 1952 in den Markt einführten.“ Der nächste Meilenstein ist der Wiedereinstieg in die Automatisierungstechnik 2013 mit der Einführung des Remote-IO-Systems u-remote. 2021 folgte die Snap-In-Anschlusstechnologie und 2022 die  Einführung des offenen Betriebssystems u-OS.

Die Kernkompetenzen

Als Kernkompetenzen, oder wie Dr. T. Berger es nennt: „Felder, in denen sich Weidmüller historisch wohlfühlt“, gibt er die Energie-, Signal- und Datenübertragung an. Im Lauf der letzten 15 bis 20 Jahre hätten sich zusätzlich die Themen Elektronik und Software – bezogen auf industrielle Anwendungsfelder –herauskristallisiert. „Hier liegt unser Fokus auf der Verbindung von Automatisierung mit der IIoT-Welt“, erklärt er. Neben den klassischen Automatisierungsaufgaben sei das Thema Mehrwert durch Daten hinzugekommen. „Und hier schließt sich der Kreis zu meinem anfänglichen ausgeführten Anspruch, immer wieder mit und für Kunden neuen Mehrwert zu generieren.“

Unumstritten ist sicherlich, dass Weidmüller bis heute zuallererst als „Klemmenexperte“ im Markt wahrgenommen wird. Ein schweres Los? Dr. T. Berger: „Das ist wie bei uns Menschen: Zwei gesunde Standbeine sind besser als eins. Unsere Reihenklemmen sind nach wie vor eine tragende Säule, die wir auch kontinuierlich weiterentwickeln.“ Er verweist auf das breite Lösungsangebot, das weit über die Elektromechanik hinausgehe. Als ein Beispiel nennt er den Weidmüller-Configurator, ein Konfigurations-Tool zur Planung von elektrischen Anlagen sowie zur Beschaffung und Montage von Komplettlösungen. Ein weiteres sind die Workplace Solutions, mit denen Schaltschrankbauer in allen Arbeitsphasen von der Planung über die Installation bis zum Betrieb mit optimal aufeinander abgestimmten Lösungen für die Werkstatt unterstützt werden. „Diese Beispiele verdeutlichen, wie wir gemeinsam mit und für unsere Kunden auch auf dem Bein unseres Kerngeschäfts immer besser werden.“

Auf der anderen Seite würde das Automatisierungs- und Digitalisierungsportfolio ebenfalls immer stärker von Kunden wahrgenommen. „Und somit entwickelt sich hier ein zweites stabiles Standbein, welches das Kundenangebot in den Applikationen perfekt ergänzt. Damit stehen wir inzwischen im und um den Schaltschrank für deutlich mehr als ,nur‘ die Reihenklemme“, sagt Dr. T. Berger

Bei diesem Thema leitet er über an Dr. T. Bürger, der die Divsion Automatisierung seit rund fünf Jahren leitet. Aus seiner Sicht war der Wiedereinstig in die Automation mit einem IO-System ein strategisch brillanter Schachzug: „Modulare IO direkt neben der Weidmüller Kernkompetenz, der Reihenklemme, im Schaltschrank ansiedeln – das passt perfekt.“ Zudem sei der Zeitpunkt optimal gewählt worden, weil 2013 gerade der Industrie-4.0- bzw. IIoT-Gedanke aufgekommen sei. „Wir haben unser Portfolio klar entlang der IIoT-Wertschöpfungskette aufgebaut und an vier Ebenen ausgerichtet“, sagt Dr. T. Bürger. Als diese nennt er die Datenerfassung, zum Beispiel mit u-remote, die Datenverarbeitung und Steuerung mit u-control, die Kommunikationstechnologien mit dem breiten Ethernet-Portfolio sowie die Auswertung und Mehrwertgenerierung mittels der Softwarelösungen. „Industrial IoT meets Industrial Automation lautet der Leitgedanke dahinter“, erklärt er.

Software-defined Manufacturing im Fokus

In den letzten Jahren hat Weidmüller gerade das Softwareportfolio massiv ausgebaut und Ende letzten Jahres im u-Software-Baukasten zusammengeführt. „Unser Ziel ist es, nicht nur Software zu entwickeln, sondern dem Kunden echte USPs zu bieten“, erläutert Dr. T. Bürger. Damit entspreche man dem Konzept des Software-defined Manufacturings.

Im Baukasten werden sowohl die aus der Akquisition von GTI im Jahr 2018 heraus erworbene Visualisierungslösung Pro-con sowie die Energiemanagementsoftware ResMa als auch das offene Betriebssystem u-OS oder Analytics-Tools gebündelt. „Mit u-Software bieten wir eine einheitliche Plattform, die optimale Kommunikations- und Engineering-Optionen bietet. Dabei basiert unser Baukasten auf maximaler Offenheit – wir vermeiden bewusst Lock-in-Effekte und ermöglichen eine nahtlose Zusammenarbeit mit Drittanbietern“, so Dr. T. Bürger weiter. Als Stichworte nennt er: OPC UA, MQTT und Container- Technologie.

Neben der Offenheit steht auch die Nutzererfahrung (UX) im Fokus. „Wir setzen darauf, dass unsere Software einfach zugänglich ist und eine einheitliche Benutzerführung bietet“, betont Dr. T. Bürger. Kunden profitieren zudem von spezifischer UX-Beratung, bei der individuelle Anpassungen und Prozessoptimierungen im Mittelpunkt stehen. „Unser Gesamtpaket aus all dem Genannten, das ist es, was den Unterschied für Kunden macht“, fasst er zusammen.

Die Kernkomponenten aus dem Software-Baukasten im Detail:

  • u-OS: Das offene Betriebssystem für Edge-Devices, auf dem auch Apps von Drittanbietern laufen können. Es bildet die Basis für viele Automatisierungslösungen und bietet eine integrierte Middleware zur Kommunikation.
  • easyConnect: Die Industrial Service Platform bündelt alle digitalen Dienstleistungen während des gesamten Produktlebenszyklus. Anwender können hier Hardware konfigurieren, Software-Roll-outs managen oder aus der Ferne auf Maschinen zugreifen.
  • Anwendersoftware: Software in Form von Apps rundet den Baukasten ab. Nutzer können nach Belieben ihre Anwendung um eine Visualisierung mit Procon-Web erweitern, Machine Learning über edgeML integrieren oder mit Procon- Connect plattformunabhängig Energie- und Maschinendaten akquirieren.
  • Procon-Web: Eine leistungsfähige Visualisierungslösung, die sich unter anderem durch ihre intuitive Nutzerführung auszeichnet.
  • Procon-Connect: Die plattformunabhängige App, die die Akquise der Energie- und Maschinendaten von unterschiedlichen Steuerungen, Energiemetern und zum Beispiel OPCUA- Servern ermöglicht. Die so gesammelten Daten können dann direkt in der App vorverarbeitet und beispielsweise in Datenbanken wie InfluxDB gespeichert werden. Zusätzlich sind die Daten via MQTT in die Cloud übermittelbar oder in ResMa für das Energiemanagement nutzbar.

„Mit unseren Softwarelösungen unterstützen wir Kunden unter anderem bei der Optimierung ihrer Prozesse sowie der Implementierung neuer Geschäftsmodelle“, so Dr. T. Bürger.

Als die nächsten Schritte nennt er: „Natürlich werden wir unser IIoT-Partner-Netzwerk ausbauen. Darüber hinaus werden wir u-OS erweitern, zum Beispiel in Richtung weiterer Echtzeit- Funktionalitäten. Damit wollen wir zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten eröffnen.“ Besonders im Bereich der Cybersecurity werden neue Zertifizierungen angestrebt, um den wachsenden Sicherheitsanforderungen der Industrie gerecht zu werden.

Als weiteres Highlight nennt er Edge Machine Learning (edgeML). „Damit bieten wir unseren Kunden eine praxisnahe, hands-on KI-Lösung, die einfach anwendbar ist. Diese Weiterentwicklung basiert auf unserem Industrial-AutoML-Tool und wurde vollständig in u-OS integriert. Dies ermöglicht eine direkte Anbindung an die SPS, sodass Unternehmen auf einfache Weise von den Vorteilen maschinellen Lernens profitieren können“, so Dr. T. Bürger.

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