Barbara Frei ist Executive Vice President Industrial Automation

Barbara Frei ist Executive Vice President Industrial Automation bei Schneider Electric. (Quelle: PhotographieYvonnePloenes)

Frau Frei, schaut man in den Wirtschaftsteil von Zeitungen, befragt man Industrieverbände oder -unternehmen zur aktuellen Lage, ist der Anteil positiver Botschaften eher gering. Bitte geben Sie eine kurze Einordnung, welche aus Ihrer bzw. Schneider-Electric-Sicht aktuell die größten Herausforderungen für Industrieunternehmen sind.

B. Frei: 2024 war ein herausforderndes Jahr. In den letzten zwölf Monaten gingen über 50 % der Weltbevölkerung an die Wahlurnen. Das wirkt sich natürlich auf den Industriesektor aus: Viele Unternehmen warten auf Investitionen und erwarten Änderungen in der Regulierung sowie der Politik.

Auf dem Weg ins Jahr 2025 ist die Prognose besser, obwohl es noch Herausforderungen zu bewältigen gibt, darunter die Sicherstellung des Produktivitätswachstums, hohe Energiekosten, eine alternde Belegschaft und die Notwendigkeit eines Übergangs zu einem nachhaltigen Betrieb.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind zwar nicht völlig neu, aber was diesen Moment auszeichnet, ist unser Zugang zu bewährter Hochleistungstechnologie. Sie kann uns helfen, diese turbulenten Zeiten zu meistern. Die Fähigkeit, auf Daten zuzugreifen und diese zu verwalten, sowie die Integration neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz können zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen. So lassen sich mit ihnen die Effizienz steigern, Prozesse automatisieren und der Übergang zu nachhaltigeren Methoden erleichtern. Die Nutzung dieser Innovationen wird für die Hersteller von entscheidender Bedeutung sein, um wettbewerbsfähig und flexibel auf die sich ändernden Marktanforderungen reagieren zu können.

Im Zusammenhang mit dem Standort Deutschland wird viel über Deindustrialisierung gesprochen. Lassen Sie uns einmal den Blick umkehren und über Reindustrialisierung sprechen. Wie könnte eine solche aus Ihrer Sicht aussehen und was raten Sie Unternehmen?

B. Frei: Ich bin Ingenieurin und sehr optimistisch. Denn die Industrie und insbesondere die Prozessindustrie in Deutschland sind das Rückgrat unserer Wirtschaft sowie unseres Wohlstands. Und das Potenzial der deutschen Industrie ist enorm! Die Reindustrialisierung stellt eine spannende Chance dar, da sie versucht, das verarbeitende Gewerbe durch die Einführung fortschrittlicher Technologien, nachhaltiger Methoden und Innovationen wiederzubeleben. Mein Rat an die Kunden lautet:

  • Setzen Sie auf Technologie: Investieren Sie in die digitale Transformation und in intelligente Fertigungslösungen. Dies kann den Betrieb rationalisieren und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern.
  • Bleiben Sie agil: Seien Sie bereit, sich an veränderte Marktanforderungen und technologische Fortschritte anzupassen. Flexibilität im Betrieb ist der Schlüssel zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit.
  • Fokussieren Sie auf Nachhaltigkeit: Machen Sie Nachhaltigkeit zu einem zentralen Wert. Das kommt nicht nur der Umwelt zugute, sondern kommt auch bei den Verbrauchern gut an und kann die Markentreue stärken.
  • Binden Sie die Belegschaft ein: Beziehen Sie die Mitarbeitenden in den Reindustrialisierungsprozess ein. Ihre Erkenntnisse können zu besseren Methoden führen und das Gefühl der Eigenverantwortung für die Aufgabe des Unternehmens fördern.

Man merkt, Sie zählen zu den Menschen, die eher die Ärmel hochkrempeln und zu positivem Denken aufrufen als den Kopf in den Sand zu stecken. Wie lautet Ihre optimistische und motivierende Botschaft in Richtung Industrie?

B. Frei: Schneider Electric ist ein Unternehmen, das etwas bewegen will. Seit mehr als 180 Jahren sind wir innovativ und krempeln die Ärmel hoch, um die größten Herausforderungen der Welt zu meistern. Deshalb blicken wir positiv und optimistisch in die Zukunft, denn wir haben bereits in der Vergangenheit erfolgreich mit unseren Kunden zusammengearbeitet und werden dies auch weiterhin tun.

Wenn ich in letzter Zeit mit Kunden und Partnern in aller Welt spreche, machen sie sich Sorgen:

  • über die Widerstandsfähigkeit ihrer Unternehmen in einer zunehmend unsicheren Welt,
  • über Unterbrechungen der Versorgungskette – und wie wir diese neu überdenken müssen,
  • über die steigenden Rohstoffkosten – sowie die Verfügbarkeit von Rohstoffen und elektronischen Komponenten im Allgemeinen und
  • über den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.

Vor allem aber geht es um den Klimawandel und das Ziel, die CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren und – in Deutschland bis 2045  klimaneutral zu werden. Ich bin überzeugt, dass es nicht die eine Lösung für alle Herausforderungen gibt. Ferner bin ich sicher, dass erst das Zusammenspiel aller Kräfte – also das Wirken von Politik, Wirtschaft UND Gesellschaft – es möglich macht, diese Herausforderungen zu bewältigen. Die Technologien sind vorhanden und die industrielle Automatisierung spielt eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen.

Energieeffizienz, Elektrifizierung, offene Automatisierung und Digitalisierung bilden die Grundlage für das Erreichen unserer Ziele. Und in diesem Spannungsfeld wird die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg immer wichtiger. Wie können wir digitale Werkzeuge und Software nutzen, um Prozesse, Produktivität sowie Leistung in bestehenden Umgebungen zu optimieren – in ihren heterogenen Automatisierungslandschaften? Deshalb ist es so wichtig, über offene Technologien zu sprechen, die an alles angedockt werden können, was bereits vorhanden ist. Dadurch lässt sich Transparenz über die vorhandenen Einzellösungen schaffen und somit Flexibilität, Intelligenz und Effizienz in jeden Teil eines Unternehmens bringen.

Bitte zeigen Sie noch etwas konkreter auf, wie Automatisierung und Digitalisierung Unternehmen beim Angehen gegen den Fachkräftemangel, den Klimawandel und die Ressourcenknappheit unterstützen können. Und wie spielen hier Open Automation und Co-Creation hinein?

B. Frei: Automatisierung und Digitalisierung spielen in der Tat eine entscheidende Rolle, um den Herausforderungen des Fachkräftemangels, des Klimawandels und der Ressourcenknappheit zu begegnen. Was erstens den Fachkräftemangel betrifft, kann die Automatisierung dazu beitragen, die Lücke zu schließen, indem sie gefährliche, sich wiederholende und geringwertige Tätigkeiten mit Präzision und Geschwindigkeit ausführt. Das wirkt sich nicht nur positiv auf die Produktivität aus, sondern stärkt auch die Arbeitnehmer, fördert das Wirtschaftswachstum und schafft neue Beschäftigungsmöglichkeiten.

Zweitens tragen Automatisierungstechnologien erheblich zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Höhere Produktivität, Zuverlässigkeit und Rentabilität sind seit dem Beginn der industriellen Revolution die wichtigsten Faktoren. Jetzt, im Zeitalter der globalen Erwärmung, ermöglicht die Digitalisierung eine präzise Steuerung kritischer Prozesse, um den Energieverbrauch zu senken und so die Nachhaltigkeit des gesamten industriellen Ökosystems zu verbessern.

Schließlich ermöglicht die Digitalisierung im Zusammenhang mit der Ressourcenknappheit eine bessere Datenanalyse. Das trägt zu einer verbesserten Entscheidungsfindung im Ressourcenmanagement bei. Diese Fähigkeit ermöglicht es der Industrie, Ressourcen effizienter zu nutzen und Abfall zu reduzieren, um die dringende Herausforderung der Knappheit effektiver anzugehen.

Offene Automatisierung fördert die Verwendung offener Standards sowie Technologien und ermöglicht es Unternehmen, flexible und anpassungsfähige Systeme zu erstellen, die verschiedene Komponenten unterschiedlicher Anbieter integrieren. Dieser Ansatz fördert die Innovation und ermöglicht es den Unternehmen, schnell auf Veränderungen der Marktbedingungen zu reagieren und so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Darüber hinaus beinhaltet Co-Creation die Einbindung verschiedener Interessengruppen, wie Mitarbeitende, Kunden und Partner, in die Entwicklung von Automatisierungslösungen. Diese Zusammenarbeit fördert das gemeinsame Wissen und führt zu besser zugeschnittenen Lösungen, die auf spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen eingehen und sicherstellen, dass Automatisierungsinitiativen sowohl effektiv als auch nachhaltig sind.

Insgesamt sind sowohl die offene Automatisierung als auch die Mitgestaltung von entscheidender Bedeutung für die Schaffung widerstandsfähiger Systeme, die sich an die sich verändernde Arbeitslandschaft, die ökologischen Herausforderungen und die Verfügbarkeit von Ressourcen anpassen können.

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