Folgen auf die Automatisierung

Die Modularisierung hat selbstverständlich Folgen auf die Automatisierung. Laut Johannes Kalhoff muss dafür die gesamte Prozesskette betrachtet werden – vom Engineering bis zur Bedienung im Betrieb. „Vor den Ausw­irkungen für die Zukunft sollten wir die Auswirkungen für die Gegenwart betrachten“, teilt Dr. Thomas Albers mit. „Es geht darum, die Package Units so intelligent zu machen, dass sich der Engineering-Aufwand bei der Integration reduziert. Dazu muss die verfahrenstechnische Automatisierung mitsamt ihre kommunikationstechnischen Komponenten modular gestaltet werden.“

A. Haller erwartet, dass die Standardisierung dazu führen wird, dass sich proprietäre Systeme öffnen müssen. Weiterhin sind „Services erforderlich, damit die Datenmengen der intelligenten Module innerhalb des Systems ausgewertet werden können“. Dr. J. Oprzynski rechnet sogar mit einem neuen Marktsegment für die Automatisierung: „Der Grad der Automatisierung steigt, die Automatisierung selbst wird intelligenter.“

Wird die Intelligenz im Leitsystem oder in den Modulen zunehmen? „Die gesamte Anlage muss intelligent werden“, weiß Dr. T. Albers. „Wie die verteilte Intelligenz gemanagt wird – ob verteilt oder zentral, bleibt dann eine Kernfrage. Mit dezentraler Intelligenz wird die Zustandsüberwachung verbessert.“ In die gleiche Kerbe schlägt J. ­Kal­­­­hoff:­­ „Die Module müssen für den Gesamtprozess optimiert werden.“ Sie müssen einfach in die Anlage integrierbar sein. Wichtig dabei ist die Handhabung des ­Gesamtprozesses über das Bediensystem. Ähnlich sieht dies A. ­Haller: „Leitsysteme wird es weiter geben, aber sie werden sich zu einer Automatisierungs- und Inte­grationsplattform entwickeln. Die Module werden intelligent, können aber allein keinen kompletten Prozess steuern.“

Konsequenzen auf die Anbieterstruktur

Dr. Thomas Albers ist überzeugt, dass sich die heutigen Anbieter am Markt auch in Zukunft bewähren werden. Allerdings werden auf dem Gebiet der Module neue Anbieter auftauchen. „Die Verantwortlichkeiten im Anlagenbau verschieben sich“, betont Dr. J. Oprzynski. „Modulanbieter werden Verantwortung übernehmen müssen, denn der Systemintegrator muss sich ohne Re-Engineering auf die sichere Funktionalität des Moduls verlassen können.“ Dr. Sven Lohmann ist hingegen der Meinung, dass der Know-how-Träger für das Verfahren der Hersteller eines Produkts selbst bleiben wird.

„Wenn wir eine Anlage in wiederverwendbare Teilanlagen zerlegen, müssen wir lernen, nicht in einmaligen Umsetzungen zu denken, sondern in Familienkonzepten“, räumt Prof. L. Urbas ein. Dabei stellt sich die Frage nach den Freiheitsgraden, die zu erreichen sind. Fernziel sollte das Zero-Engineering sein. Laut Dr. T. Albers geht es dabei nicht nur um die Verfahrenstechnik: „Das Modul verfügt über gekapseltes Know-how und langfristig sprechen wir von einer ‚Black-Box-Automatisierung‘, auf Basis welcher sich die Anwender nicht mehr mit jedem Detail beschäftigen müssen.“ Der Vorteil dabei: Die Time-to-Market wird verkürzt. J. Kalhoff nennt dazu einen weiteren Aspekt: „Das Universalmodul bildet eine verfahrenstechnische Grundfunktion und kann nur unter bestimmten Rahmenbedingungen angewendet werden. Der Kunde kann hier sein Prozesswissen mit einbringen, um ein Modul an den spezifischen Prozess zu adaptieren und ergebnisorientiert zu optimieren.“

Dr. J. Oprzynski ist überzeugt, dass sich für die erfolgreiche Etablierung einer modularen Produktion in der Prozessindustrie das Marktsegment der Modulhersteller herausbilden muss: „Die Modulhersteller liefern eine Lösung zur sicheren Beherrschung bestimmter verfahrenstechnischer Prozessschritte.“ In diesem Zusammenhang ergänzt A. Haller, dass die Intelligenz im Modul mehr umfasst als das, was der Verfahrenstechniker für die Anlage braucht: „Die vorhandene Intelligenz bietet eine hohes Maß an Flexibilität, sie muss nur vom Anwender richtig eingesetzt und genutzt werden.“ Im Gegensatz zu heutigen Anlagen, wo jede Änderung sehr aufwendig ist, werden im Zuge der Modularisierung Kosten minimiert.

„Die Package Units der Pharmaindustrie sind heute schon gut organisiert, aber die Integration in übergeordnete Systeme lässt sich noch optimieren“, weiß Prof. L. Urbas. Zum Beispiel zeige der Blick nach Leverkusen auf das dortige F3-Factory-Projekt, dass am ehesten dort modularisiert und standardisiert werden kann, wo klare Unit Operations mit wenigen Abhängigkeiten von den Produkteigenschaften vorliegen. Die hohe Geschwindigkeit, Verfügbarkeit und Austauschbarkeit werden die Konkurrenzfähigkeit der Produkte auf dem Markt erhöhen.

Modularisierung der Prozessindustrie und Industrie 4.0

„Industrie 4.0 ist zunächst ein Förderprogramm der Bundesregierung, um die deutsche Wirtschaft auf die Folgen der Digitalisierung einzuschwören“, berichtet Prof. L. Urbas. „Digitalisierung in der Prozessindustrie ist hinsichtlich der vertikalen Vernetzung schon vorhanden. Hinsichtlich der horizontalen Vernetzung in Bezug auf Anlagenplanung und Instandhaltungszyklen gibt es noch viele ‚Datensilos‘; das Potenzial dieser Daten wird noch nicht vollständig genutzt. Aber auch unter dem Aspekt der Assistenzsysteme zur Entscheidungsfindung kann die Modularisierung und die damit einhergehende Wiederverwendbarkeit von Komponenten einen weiteren Schritt nach vorne ebnen. Dies unterstreicht auch A. Haller: „Modularisierung unterstützt die Idee von Industrie 4.0, reale Objekten mit einem virtuellen Abbild zu versehen, um eine frühzeitige und effiziente Simulation sowie Analyse zu ermöglichen.“ Es werden Informationen über die Leistungsfähigkeit des Moduls und über den Prozess, in welchen es integriert ist, zur Verfügung gestellt.
„Industrie 4.0 ist kein Selbstzweck, sondern eine Marktentwicklung“, setzt Dr. T. Albers fort. „Letztlich geht es um die Individualisierung von Produkten, die kosten-
neutral gefertigt werden sollen. Um als Unternehmen auf dem Markt bestehen zu können, müssen auch Klein- und Kleinstserien effizient produziert werden.“ Diese Individualisierung wird durch Modularisierung und die damit einhergehende flexible Fertigung sowie kurze Umrüstzeiten ermöglicht. Modularisierung erfordere wiederum dezentrale Intelligenz. „Industrie 4.0 wird es ohne Modularisierung nicht geben“, fasst er zusammen. Dr. J. Oprzynski bestätigt, dass für Industrie 4.0 in der Prozessindustrie neben der Digitalisierung der Produktion sowie der Generierung und Auswertung von Daten die Modularisierung eine wichtige Rolle spielt.

Selbstverständlich sind die Auswirkungen in der Fertigungsindustrie andere als in der Prozessindustrie. J. Kalhoff erinnert daran, dass hinter Industrie 4.0 Wertschöpfung steckt: „Mit einer daten- und menschenzentrierten Automatisierung basierend auf Digitalisierung und Modularisierung sind Steigerungen der Wertschöpfung um bis zu 30 % möglich.“ Modularisierung im Sinne von Industrie 4.0 hat zum Ziel, modularisierte Prozessschritte adaptiv zu verwenden, um das Engineering und den Anlagenanlauf zu verkürzen und eine flexible Skalierung der Produktionsressourcen, auch unterschiedlichster Hersteller, zu vereinfachen.

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