
Dr. Claus Bischoff (Lenze), Dr. Thomas Bürger (Weidmüller), Hilmar Panzer (Codesys), Dr. Tobias Frank (Phoenix Contact), Felix Kranert (Schneider Electric), Dr. Heiner Lang (ehemals Wago) und Steffen Winkler (Bosch Rexroth) (v. l.) stellten sich auf einer Podiumsdiskussion auf der SPS in Nürnberg den Fragen der openautomation-Redaktion (Inge Hübner und Ronald Heinze) sowie des interessierten Fachpublikums. (Quelle: VDE Verlag)
Den Begriff Open Automation liest man an vielen Messewänden. Das war auch auf der SPS im November 2024 in Nürnberg der Fall. Wer genauer hinschaute, konnte allerdings feststellen, dass die einzelnen Player ein durchaus unterschiedliches Verständnis von dessen Interpretation, Umsetzung oder zukünftiger Gestaltung haben. Auf der Podiumsdiskussion während der SPS gaben die Experten vielfältige Einblicke. Gestartet wurde im Jetzt.
„Wenn wir ehrlich sind, ist Automatisierung bislang oftmals mit einem hohen Lock-in-Effekt verbunden. Das heißt, Kunden entscheiden sich selten für eine Komponente, sondern meistens für einen Anbieter. Und falls sie diesen wechseln möchten, wird es schwierig“, beschreibt Steffen Winkler, Vertriebsleiter Business Unit Automation & Electrification Solutions bei Bosch Rexroth, den aktuellen Stand. Als Vorteil offener Systeme nennt er, dass sie diesen Lock-in-Effekt aufheben. „Anwender haben mehr Möglichkeiten, ihr System selbst zusammenzustellen oder Bausteine hinzuzufügen – auch solche, die wir heute vielleicht noch gar nicht kennen.“ Als weiteren Aspekt bringt er den demografischen Split ein. „Wir sehen auf der einen Seite eine erfahrene Generation von SPS-Programmierern, die mit bewährten Methoden arbeitet. Auf der anderen Seite wächst eine neue Generation heran, die in der IT-Welt zu Hause ist und mit modernen Tools und agilen Methoden vertraut ist. Diese junge Generation wird Automatisierung anders denken und umsetzen – und genau hier setzen unsere offenen Systeme an. Sie bieten die Flexibilität, beide Welten zu verbinden und eine Brücke zwischen klassischer SPS-Programmierung und modernen IT-Technologien zu schlagen.“
Dr. Thomas Bürger, Executive Vice President Automation Products & Solutions bei Weidmüller, unterstreicht diesen Spagat: „Aus der Historie heraus zählt die IEC 61131 zu den etablierten Programmierstandards am Markt. Deshalb ist für Weidmüller die Nutzung von Codesys selbstverständlich, um diese Entwicklergruppe abzuholen. Darüber hinaus sehen wir, dass Hochsprachen und Low Code/No Code immer wichtiger werden.“ Das Aufsetzen auf Standards hält er für extrem wichtig, auch mit Blick auf die Kommunikationsstandards. Er beschreibt, dass man sich von den klassischen Feldbussen über OPC UA und MQTT in Richtung De-facto-Standards wie Docker orientiere. „Für echte Offenheit müssen neben den IEC-Standards auch die De-facto-Standards unterstützt werden. Zudem muss man offen sein für zukünftige Standards. Dementsprechend wichtig ist es, in seinen Lösungen die erforderlichen Architekturen so zu schaffen, dass neue Technologien schnell und flexibel integriert werden können“, lautet seine Botschaft.
Schneider Electric ist Gründungsmitglied der UniversalAutomation.org, die den in der IEC 61499 definierten softwarezentrierten Entwicklungsansatz unterstützt. Für Felix Kranert, Director Offer & Segment Marketing Industrial Automation DACH bei Schneider Electric, ist daher der applikative Blick wichtig: „Die Auswahl des passenden Standards hängt von der jeweiligen Applikation ab. Wer sich mit Hochsprachen auskennt, weiß, dass diese ereignisorientiert arbeiten – im Gegensatz zu den zyklischen Prozessen der klassischen Softwareentwicklung. Software-defined Automation ist hier ein zentrales Konzept: Es ergibt aber nur Sinn, diesen Ansatz in die Maschine zu übertragen, wenn die Applikation das erlaubt. Das erleichtert die Integration von übergeordneten Systemen, zum Beispiel über API.“ Als Beispielapplikation, bei der dieser Ansatz nicht geeignet ist, führt er High-Speed-Motion-Anwendungen an. „Jeder Ansatz hat seine Daseinsberechtigung, und es ist entscheidend, die richtige Methode für den jeweiligen Use Case auszuwählen. Wichtig ist, dass die Lösung flexibel und übertragbar bleibt“, so F. Kranert. Dr. Tobias Frank, Vice President Automation Systems bei Phoenix Contact, unterstreicht den Gedanken der Mehrgleisigkeit: „In unserem App-Store bieten wir sowohl Lösungen auf Basis der IEC 61131 als auch der IEC 61499 an. Der Kunde hat also die Wahl.“ Aus seiner Sicht ist es wichtig, dass der Kunde für unterschiedliche Applikationen beide Technologien kombinieren kann. Entscheidend dabei sei, dass diese in Echtzeit zusammenarbeiten können. „Letztendlich bleibt die Echtzeitfähigkeit ein zentrales Kriterium, da Maschinen- und Anlagensteuerung darauf angewiesen sind. Viele IT-Technologien aus der Internetwelt funktionieren in Echtzeitszenarien nicht. Deshalb ist ein offenes Automationssystem notwendig, das diese Technologien für Echtzeitanwendungen nutzbar macht“, sagt Dr. T. Frank.
Interoperabilität in Zukunft
Aus dem Publikum wird die Frage gestellt, wie die Player untereinander Interoperabilität in der Zukunft gewährleisten wollen. Hilmar Panzer, CTO Codesys Group, antwortet: „Im Geiste sind wir alle Brüder. Aber tatsächlich ist es so, dass die größere Zahl der aktuell bereitgestellten Ecosysteme proprietär arbeitet. Diesbezüglich wünschen auch wir uns als Codesys mehr Standards und ein engeres Zusammenwachsen.“
Lenze-CTO Dr. Claus Bischoff bringt hierzu die Verwaltungsschalte ins Spiel: „Innerhalb des ZVEI sind wir uns einig, dass wir in Bezug auf den Einsatz der Verwaltungsschale schneller werden müssen. Insbesondere bei der Standardisierung des Datenaustauschs über Wertschöpfungsketten sowie auch der Informationsbereitstellung zu Produkten – zum Beispiel beim Engineering, dem Asset-Management oder dem Software-Update – sehe ich in dieser Technologie den richtigen Weg.“
„Auf der Hardwareseite ist die Interoperabilität der Automatisierungssysteme heute dank der bereits angesprochenen Standards schon recht weit umgesetzt. Das heißt, wir können Antriebe, Steuerungen, IO etc. sehr gut miteinander verbinden“, meint S.Winkler. Allerdings sei für den Kunden dadurch die Komplexität gestiegen, woraus sich der Trend, möglichst alles aus einer Hand zu beziehen, gefestigt habe. „Und damit sind wir dann wieder bei einem geschlossenen System angelangt. Hier wäre ein Kompromiss für die Anwendenden wünschenswert“, definiert er als Ziel.
„Natürlich gibt es viele Standards, die wir jetzt schon umsetzen und dadurch Interoperabilität und Offenheit schaffen“, betont H. Panzer. Wichtig ist aus seiner Sicht: „Wenn man Innovationen schafft, sollte man von Beginn an berücksichtigen, dass diese interoperabel mit anderen Lösungen sind.“
Dr. T. Bürger ist überzeugt, dass sich der Kunde hinsichtlich der Interoperabilität für die Zukunft keine Sorgen machen muss: „Wir haben vielfach genormte Standards, Plug-Feste, De-facto-Standards u. v. m.“ Als regulierend stellt er die „de-factonormative Kraft“ der Kunden heraus. „Sie wird uns Hersteller dazu zwingen, dass Interoperabilität gewährleistet ist, Lock-in-Effekte vermieden werden und ein einfacher Transfer von Bausteinen möglich wird“, so Dr. T. Bürger.